Kapitel 3 - Die Wassermühle von Friedenreich Bis Teutebrand und Rangubald am Abend die Mühle von Friedenreich erreicht hatten, war es reichlich spät geworden. Im Haus herrschte absolute Stille und lediglich der flackernde Schein des Feuers drang durch einige schmale Spalten aus der Hütte hervor. Die Familie hatte sich offenbar bereits zum Schlafen hingelegt. Trotzdem öffnete ihnen der Müller sofort, als der Runenmeister nach einem kurzen Zögern an der Eingangstür klopfte. Sichtlich verschlafen, begrüßte er die Wanderer herzlich. 'Er würde sich sehr freuen, sie zu sehen', versicherte ihnen Friedenreich. 'Zwar hätte er auf sie gewartet, alle Anderen wären indessen längst zu Bett gegangen.' Der Hausherr trat dann aus dem Haus heraus, er schloss hinter sich leise die Tür und er führte die Reisenden zur Rückseite des Gebäudes. Sie stellten den Karren in der Scheune unter und danach ließen sie den Esel springen. 'Das Tier wüsste sich gewiss selbst zu helfen', erklärte Rangubald. 'Da der Graue stets mit dabei sei, wenn er wegen seiner Geschäfte in Fentovia weilte, würde er sich bei der Wassermühle auskennen. Auch wenn das letzte Mal nun schon einige Zeit her wäre, heute würde der Esel bestimmt nicht mehr weit laufen wollen, schließlich hätte er den ganzen Tag den Karren ziehen müssen.' Friedenrich begleitete sie darauf zu einer etwas entfernt stehenden Hütte und er zeigte den beiden die Kammer, welche er für sie vorgesehen hatte. Ein Strohlager war darin vorbereitet, das Feuer brannte im Ofen und ein Krug mit Wasser stand auf dem Tisch. 'Sie sollten die Nacht hier verbringen, morgen würde man weitersehen', erklärte ihr Gastgeber kurz angebunden, bevor er sich verabschiedete und zurück zum Haus verschwand. Während der Runenmeister und sein Sprößling am Tisch saßen und von dem Proviant aßen, welchen ihnen Brungard auf die Reise mitgegeben hatte, schnurrte die ganze Zeit ein Kater neugierig durch die Stube. Der vierbeinige, schwarze Hüttenbewohner unternahm dabei allerlei Versuche, damit er seinen Anteil von dem späten Mahl abbekommen würde. Sobald der Kater allerdings in die Nähe des Vaters kam, verscheuchte dieser das Tier ungehalten. Der Junge warf ihm dagegen ab und an einen Brocken unter den Tisch. Die Happen beschnupperte der Vierbeiner lange, untersuchte sie ausgiebig, bis er sie letztendlich auffraß. Die müden Wanderer legten sich wenig später gleichfalls zum Schlafen hin. Am Morgen wurde Teutebrand wach, als der Hahn des Hofes laut krähte. Die Umgebung in der er sich nach dem Aufwachen wiederfand, kam dem Jungen unbekannt vor. Wie meistens dauerte es bei ihm eine Weile, bis er morgens ganz zu sich gekommen war. Erst nachdem er das Schnarchen seines Vaters hörte, der neben ihm auf dem Strohlager schlief, dämmerte es ihm wieder, dass sie bei Friedenreich zu Besuch waren. In der Kammer in der sie sich befanden, gab es nicht viel zu sehen, deshalb beschloss der Sprössling sich lieber zuerst einmal umzuschauen, wie es rund um die kleine Hütte herum aussah. Der Junge verließ also das Blockhaus in dem sie übernachtet hatten. Das erste auf das er draußen stieß, war das scheinbar trockengefallene Bachbett eines schmalen Gewässers. Bei näherem Hinschauen erkannte Teutebrand, dass es sich hier vielmehr um eine Rinne handelte, welche wohl extra vor der Hütte gegraben worden war. Das Rauschen des Wassers, welches er dennoch vernehmen konnte, kam indes vom eigentlichen Bach, der etwas weiter entfernt das Tal hinunterfloss. Rinne und Bach führten zu einem talaufwärts gelegenen Teich, welchen er aber von seinem Standort aus nicht richtig einsehen konnte. In der ausgehobenen Rinne befand sich gleich bei der Hütte ein riesiges Rad. Dieses war mit einer merkwürdig erscheinenden Konstruktion verbunden. Lediglich zwei Mühlsteine, welche man gewöhnlicherweise für das Mahlen des Korns verwendete, kamen ihm an dem hölzernen Ungetüm bekannt vor. Offensichtlich handelte es sich bei der Konstruktion um die Wassermühle. Der Junge wollte die Apparatur gerade genauer untersuchen, in diesem Augenblick erblickte er Friedenreich, der auf ihn zugelaufen kam. 'Teutebrand solle ruhig zum Haus hinübergehen', forderte der Müller den Jungen auf. 'Seine Frau Kunrada würde gerade mit den Töchtern das Frühstück vorbereiten und in der Stube auf ihn warten. Er würde sich bestimmt noch an Ferun und Ortrun erinnern. Er selbst würde mit dem Runenmeister so schnell wie möglich hinzustoßen.' Der Junge lief daraufhin hoch zum Haus. Unterdessen betrat Friedenreich die Kammer, in welcher Rangubald soeben aufgewacht war. Die beiden begrüßten sich ohne viele weitere Worte. 'Er habe für heute eigentlich vorgehabt nach Fentovia auf den Markt zu fahren', meinte Rangubald nach einem längeren, einvernehmlichen Schweigen. 'In der Stadt wolle er die Felle verkaufen, welche er aus Murrtal mitgebracht habe.' Wie Friedenreich dies hörte, verzog er das Gesicht und er runzelte die Stirn. 'Heute wäre kein Markttag, der wäre erst Morgen', gab der Müller zu bedenken. 'Auch ansonsten sei die Fahrt nach Fentovia im Moment keine wirklich gute Idee', erwiderte er des Weiteren nachdenklich. 'Fremde und Unbekannte seien dort dieser Tage nicht besonders willkommen. Wie es in der Stadt zur Zeit aussehen würde, wolle er dem Runenmeister gerne beschreiben, damit dieser eine Entscheidung über den Besuch des Marktes treffen könnte. Hierfür müsse er allerdings etwas weiter ausholen.' Es war allgemein bekannt, dass Friedenreich eine Vorliebe für das Erzählen von Geschichten hatte, von daher lauschte Rangubald gefasst der nun folgenden Schilderung des Müllers. Unmittelbar nach den letzten Schneestürmen, es musste ungefähr um den zweiten Vollmond des Jahres gewesen sein, war der Landvogt in Begleitung einiger bewaffneter Männer in Ubil eingetroffen. Beim Anblick der Soldaten hatte Friedenreich zuallererst an den Tribut gedacht. Aus diesem Anlass heraus zog der Landvogt in manchem Jahr durch die Ländereien der Stämme, welche mit dem König befreundet waren. Wie so viele der überkommenen Bräuche seiner Sippe stammte die Königswürde und gleichermaßen die Pflicht des Tributs aus der Zeit der großen Prüfung. Die Stämme hatten in jenen glorreichen Tagen des gemeinsamen Sieges über das Heer des Schreckens beschlossen, einen der ihren zum König zu erheben. Viele fühlten sich damals dem Bündnis zugehörig und zahlreiche Stämme hatten deshalb den Treueschwur auf den König abgelegt. Irmin der selbst ein Kampfgenosse von Knadaroek war, wurde schlussendlich als Herrscher ausgewählt und er sollte fortan in der alten Stadt Segmunda residieren. Der Königssitz lag nördlich ihres Gebietes auf der anderen Seite des großen Stromes. Das alte Volk versprach sich von dem Bündnis vor allem mehr Sicherheit, falls es in Zukunft von anderen Angreifern bedroht werden würde, die ähnlich dem Heer des Schreckens danach trachteten, ihr Gebiet zu verwüsten oder zu besetzen. Ein starker König sollte die Interessen aller Stämme vertreten und könnte möglicherweise den Bestand der einzelnen Stammesgebiete der verschiedenen Völker garantieren. Der neu eingesetzte Herrscher durfte sich als Gegenleistung der Loyalität der Stämme gewiss sein. Zu der damals gebildeten Gemeinschaft gehörten seither neben dem Alten Volkes ebenfalls die westlichen Stämme bis hinauf zur Küste. Darüber hinaus hatten viele Völker des Nordens sich in der Folge dem Bund angeschlossen. Sicher seit dieser ruhmreichen Zeit hatte es viele Konflikte gegeben, zum einen Streit zwischen den Stämmen untereinander, zum anderen kriegerische Auseinandersetzungen mit äußeren Feinden. Ebenso musste der König aus den unterschiedlichsten Gründen nicht nur einmal in das Gebiet der Stämme fliehen. Am Ende jedoch hatte er stets nach Segmunda zurückkehren können. Viele Herrscher waren seither auf den ersten König Irmin gefolgt. Mit Ausnahme des Tributes hatten die Stämme gleichwohl bis heute weitestgehend ihre Selbständigkeit erhalten können. Mehr noch, der Tribut war all die Jahre über eher ein Symbol, denn eine Verpflichtung gewesen. Ein Handkarren oder ein Pickel, den eine Stadt gab, war allgemein ausreichend um dem Herrscher in Segmunda die Verbundenheit des Stammes zu versichern. Manches Dorf stellte den König mit einem Hahn oder einem Korb Getreide zufrieden. Die gewährte Gastfreundschaft bei einem der seltenen Besuche des Herrschers wog hier ein manches Mal deutlich mehr. Längst noch nicht waren die Zeiten angebrochen, in denen die ganze Macht alleine beim König liegen würde. Vielleicht sollten diese Zeiten auch niemals kommen. Jetzt fiel sogar Friedenreich auf, dass er ein bisschen weit abgeschweift war und er hielt kurz inne, um sodann seine Ansprache fortzusetzen. 'Mit dem nahen Ende des Winters hätte der Landvogt sein Lager entgegen jeglicher Erwartung in Fentovia aufgeschlagen. In den folgenden Wochen seien zunehmend mehr Truppen eingetroffen und dies hätte das Handeln bestimmt nicht einfacher gemacht. Jemandem den man nicht kannte, traute man seitdem in der Stadt nicht mehr so recht. Den Besuch des Marktes und den Verkauf seiner Waren sollte der Runenmeister von daher besser ihm überlassen. Mit Freude würde er sich für ihn darum kümmern.' Hierbei warf der Müller seinem Gast einen fragenden Blick zu. 'Letzten Endes sei es aber an Rangubald, zu sagen was er tun möchte. Nur sollte er bei seiner Entscheidung eine Sache bedenken. Wenn Teutebrand bei ihm das Handwerk des Müllers lernen wolle, müsste dieser gleichfalls das Handeln in Fentovia beherrschen, da dies schließlich ein Teil ihres Berufes sei. Im Moment wäre aber ein Frühstück sicherlich die beste Möglichkeit den Tag anzugehen. Man brauche die Dinge nicht zu überstürzen und könnte später nochmals in Ruhe darüber reden.' Mehr oder weniger war der Runenmeister mit Friedenreichs Ausführungen einverstanden, wobei er sich dennoch vornahm, dass er am Abend auf alle Fälle die Runen dazu befragen würde. 'Bis Morgen würde er sich die Angelegenheit durch den Kopf gehen lassen und seinem Gastgeber dann Bescheid geben', erklärte Rangubald, bevor sie zusammen aufbrachen, um sich der Familie anzuschließen. Teutebrand versuchte sich auf dem Weg hoch zum Haus an Ferun und Ortrun zu erinnern. Er hatte die Mädchen einst bei einer der großen Sonnen-Feiern kennengelernt, doch dies war Jahre her. Obschon sie damals eigentlich noch Kinder waren, hatte sich in jenem Sommer eine Freundschaft zwischen den Schwestern und dem Jungen entwickelt. Er hatte viel mit ihnen zusammen unternommen, mehr als mit all den übrigen Kindern auf die er ansonsten an der Ibensul traf. Nun vielleicht war es ja nur, weil die beiden so nahe an Murrtal lebten, auch wenn sie sich danach kein einziges Mal besucht hatten. Der Junge trat nun in die Stube ein und er fand dort die Mutter mit den Mädchen vor. Kunrada buk gerade an der Feuerstelle rechts von der Tür Eierkuchen, während die Schwestern im gegenüberliegenden Teil des Raumes nebeneinander auf einer der Bänke saßen. Auf dem Tisch vor den Mädchen standen eine Kanne mit Milch, sechs Schalen und ebenso viele Teller aus gebranntem Ton, sowie ein geflochtener Korb mit Brot darin. Teutebrand erkannte Ferun und Ortrun sofort, gleichwohl waren aus den Mädchen von der Sonnen-Feier inzwischen richtige jungen Frauen geworden. Sobald die Schwestern den Jungen erblickten, warfen sie sich gegenseitig kurze Blicke zu und sie fing plötzlich an zu kichern. 'Sie hätten sich kaum verändert', stellte Teutebrand unterdessen wenig überrascht fest, denn dieses Verhalten hatte er schon früher bei den beiden beobachtet. 'Das sei aber ein hübscher Pullover, den Teutebrand da anhabe', rief Ortrun daraufhin ziemlich schnippisch aus. 'Ob man so etwas jetzt in Murrtal tragen würde?' Bevor er dem Mädchen antworten konnte, kam schon Kunrada mit einer Schüssel voller Eierkuchen. 'Er solle sich setzen, jetzt gäbe es erst einmal Frühstück', forderte sie ihn auf. 'Da Teutebrand nun für länger ihr Gast wäre, sollten die beiden Mädchen doch bitte nett zu ihm sein, damit er sich bei ihnen wohlfühle.' Die Mutter legte nun jedem der dreien einen Eierkuchen auf den Teller. 'Auf ihrer Reise hierher sei hoffentlich alles gut gegangen?', fragte sie den Jungen anschließend. Teutebrand bejahte die Frage umgehend. 'Der Esel wäre das Einzige, was ihm im Moment Sorge bereite, denn er hätte ihn seit ihrer Ankunft nicht mehr gesehen', setzte der Junge hinzu. 'Sie hätte ihn vorhin bei den beiden anderen Tieren stehen sehen', meinte darauf Ferun. 'Sie selber hätten auch Esel, einen Alten und ein weiteres recht junges Tier. Sie wolle ihm diese gerne nach dem Frühstück zeigen.' Im selben Augenblick ging bereits die Tür auf und Friedenreich kam mit Rangubald herein. Nach einer kurzen Begrüßung saßen sie alle in der Stube des Hauses bei Milch, Eierkuchen und Brot. Die kleine Schwester wollte Teutebrand nach dem Essen zeigen, wo der Esel abgeblieben war. 'Sie solle den Holzeimer mitnehmen, damit sie am Brunnen auf der Wiese über dem Haus Wasser holen könnte', forderte die Mutter das Mädchen auf. Ortrun würde ihr derweil in der Küche aufräumen helfen und die Väter wollten sich unterdessen um Rangubalds Karren kümmern. Auf dem Weg hoch zum Brunnen hatte Teutebrand endlich genügend Zeit, sich die Umgebung der Wassermühle anzuschauen. Das Haus in dem Friedenreich mit der Familie lebte, ähnelte sehr ihrem eigenen daheim in Murrtal. 'Dies hier sei ein richtiger Hof', erklärte Ferun dem Jungen darauf. 'Ziegen, Schafe und Hühnern würden sie ebenso halten. Außer der Mühle besäßen sie überdies ein paar Felder, auf denen sie Gemüse und Getreide anbauen würden. Die Mutter würde meistens gemeinsam mit den beiden Töchtern auf dem Hof nach dem Rechten schauen. Hingegen betriebe der Vater zum einen die Mühle, zum anderen wäre er als Müller viel unterwegs, beispielsweise wenn er auf den Markt in die Stadt müsste.' Der Hof befand sich ganz am Ende der Aue in einem Seitental von Fentovia. An dem breiten Pfad der in die Stadt hinunterführte, standen links und rechts in lockerem, weitem Abstand weitere Höfe. Von hier oben war es demnach noch ein ordentliches Stück Weg bis dorthin. Selbst wenn man gleich mit Sonnenaufgang losginge, wäre der Markt sicherlich bereits von vielen Leuten bevölkert, bis man dort ankommen würde. Von der Stadt konnte man lediglich die Spitze des steinernen Turmes neben dem Stadttor erkennen. Die Straßen, Gassen und Häuser des Ortes lagen hinter einem Wäldchen unten im Tal versteckt. Den Eimer füllten die beiden am Brunnen nahezu bis zum Rand voll Wasser, dann gingen sie zu den Esel hinüber, welche nicht weit entfernt auf der Wiese grasten. Teutebrand konnte sich überzeugen, dass es allen dreien gut ging. Der junge Esel ließ sich sogar gerne streicheln, als das Mädchen diesen zu ihm brachte. Danach trug er für Ferun den gefüllten Wassereimer zum Haus. 'Er wolle nun seinen Vater und Friedenreich suchen gehen', sagte der Junge zu der kleinen Schwester, bevor er sich verabschiedete. Die beiden Männer fand er im hinteren, offenen Teil des Hauses, dort wo sie am Abend zuvor den Karren abgestellt hatten. Seine Vater war gerade dabei, dem Müller zu zeigen, was er aus Murrtal mitgebracht hatte. 'Ob es besser sei, die Felle einfach so zu verkaufen, oder sie zuerst gerben zu lassen und dann zu versuchen, sie zu einem höheren Preis auf dem Markt loszuwerden?', erkundigte Rangubald sich gerade bei seinem Gastgeber, weil er sich fragte, was die günstigere Alternative wäre. 'Zurück nach Hause wolle er sie aber auf keinen Fall mehr mitnehmen.' Der Müller wusste dies ebenfalls nicht so genau. 'Das könne jeden Tag anders aussehen', antwortete Friedenreich aus diesem Grund. 'Die vier Säcke Getreide die sie dabei hätten, könne er allerdings gut gebrauchen', setzte der Müller hinzu. 'Er habe einem Kunden in Fentovia die Lieferung von Mehl noch für diese Woche versprochen. Dafür könne er Rangubald etwas Anderes im Tausch anbieten. Gewiss würde der Runenmeister begeistert davon sein. Am Abend, wenn sie genügend Zeit dazu hätten, wolle er ihm zeigen, was dies wäre. Da der Markttag erst morgen stattfinden würde, wäre heute bestimmt der richtige Zeitpunkt dafür, das mitgebrachte Korn zu mahlen.' Hierzu nahm der Müller seine Gäste mit hinunter zur Mühle. Am Wassergraben, welcher vom Mühlteich zum Mühlrad führte, blieben sie stehen. Erst jetzt sah Teutebrand, dass die Rinne innen mit Steinen befestigt war. Überdies wies das Gerinne kurz vor dem Mühlrad ein ziemlich steiles Gefälle auf, bevor es anschließend wesentlich flacher unter dem Rad hindurchgeführt wurde. 'Das Handwerk des Müllers wäre mehr, als nur das Korn zu mahlen', begann ihr Gastgeber nun zu erzählen. Wie stets, wenn ihm sich die Gelegenheit dafür bot, setzte Friedenreich sogleich zu einer sehr ausschweifend Erklärung an. Schon sein Vater und der Vater seines Vaters waren Müller gewesen. Früher wurde das Korn von Hand mit Mörsern oder zwischen zwei Steinen zerkleinert, von vielen wurde dies sogar heute noch auf diese Art gemacht. Ein großer Mühlstein, der von einem Esel bewegt wurde, stellte eine andere Möglichkeit dar, die inzwischen fast in jedem Dorf zu finden war. Dies aber war eine Wassermühle, es gab sie hier an diesem Ort, seit man denken konnte. Das großes Wasserrad vom Durchmesser eines ausgewachsenen Mannes wurde durch Wasser angetrieben. Aus dem Mühlteich strömte das Wasser den Mühlgraben hinunter, sodass es ganz unten das riesige Rad in Bewegung setzte, sobald es auf die Wasserschaufeln traf. Das Mühlrad hatte einen langen Stamm als Achse, wie dies etwa an jedem Karren zu finden war. Die Achse ruhte dabei nahe ihren Enden in den Astgabeln zweier senkrecht stehender Stämme. An dem anderen vom Wasserrad entfernt gelegenen Ende waren zwei kleine, lotrecht zur Achse stehende, nebeneinanderliegende Räder befestigt. Die beiden Räder waren mit vielen nahezu daumendicken Stäben fest miteinander verbunden. Dieses Stabrad war also fast wie das Müllrad selbst gebaut, nur viel kleiner und mit Stäben anstelle der Wasserschaufeln. Diese Stäbe griffen in die Zapfen, die gleichfalls daumendicke Holzstäbe waren, welche aus einer horizontal liegende Holzscheibe emporragten. Diese Holzscheibe wurde Kammrad genannt. Die Achse des Kammrades wiederum lief direkt durch den oberen Mühlstein und war an dieser Stelle quadratisch gearbeitet. Der untere Mühlstein hatte im Gegensatz dazu ein rundes Loch und diente als Widerlager für die Achse des Kammrades. Der gesamte Bereich bei den Mühlsteinen war mit einem Schilfdach überdacht, das auf vier Pfosten ruhte. Das Korn sollte beim Mahlen schließlich nicht unbedingt nass werden. Des Weiteren musste man sehr aufpassen, sobald man das Wasser in den Mühlgraben strömen ließ. Dann musste, gleichzeitig mit der Ankunft des Wasserschwalls, der Mühlstein angestoßen werden. Dies geschah mit einer seitlich eingesteckten Stange. Es war die selbe Stange an der ansonsten der Esel zog, um den oberen Mühlstein auf dem unteren zu drehen. Lief der Mühlstein aber erst einmal, solange das Wasser ausreichte, würde er nicht mehr stoppen. 'Die Aufgabe des Müllers sei es ebenso, sich darum zu kümmern, dass die Mühle jederzeit bereit für das Mahlen wäre', meinte Friedenreich jetzt, nachdem er sich richtig in Fahrt geredet hatte. Vor den Zeiten seines Vater war die Mühle noch ganz aus Holz gewesen. Erst sein Vater hatte dünne Eisenreifen eingeführt. Das Stabrad sowie das Kammrad wurden seither jeweils von einem Band aus Metall umschlossen. Mit mehreren Stiften wurden die Eisenbänder im Holz befestigt und sie hielten auf die Weise die Räder zusammen. 'Dies hätte große Vorteile gebracht, denn zuvor seien die Räder beim Mahlen oft zerbrochen ', hatte der Vater einst Friedenreich erzählt. Der Müller hatte sich selbst auch einige Verbesserungen überlegt. Etwa wollte er die Stäbe des Stabrades vielleicht gleichfalls durch Eisenbolzen ersetzen. Eine eiserne Lagerbüchse im unteren Mühlstein hatte er ebenso bereits angedacht und sogar mit dem Schmied besprochen. Bisher hatte er die Mühle aber immer wieder reparieren können, ohne größere Umbauten daran vornehmen zu müssen. Bevor sie Rangubalds Korn mahlen wollten, musste Teutebrand hinüber zum Haus laufen. Er sollte Ortrun holen gehen, damit ihm diese die Arbeit am Mühlteich zeigen konnte. Der Junge fand die ältere der Schwestern in der Stube bei Kunrada. Nachdem er ihr erklärt hatte, was er von ihr wollte, gingen sie zusammen zum Teich hinauf. Als sie sich dem Wehr näherten, sahen sie dort einen Vogel sitzen. Teutebrand zeigte sich verwundert über den gefiederten Gesellen. 'Zu Hause in Murrtal habe er dieses Tier noch nie gesehen', meinte er zu seiner Begleiterin. 'Das sei eine Elster', erklärte ihm Ortrun hierauf. 'Man könne sie sehr leicht an ihrem schwarzweiß gezeichneten Gefieder und den langen Schwanzfedern erkennen. Sehr wahrscheinlich säße sie hier am Teich, weil dort das Wasser so hell in der Sonne schimmern würde. Bunte Steine und andere glitzernde Dinge würden diesen Vogel geradezu unwiderstehlich anlocken. Solche Gegenstände würde die Elster gerne mit ihrem Schnabel aufnehmen und in ihr Nest tragen.' Am Teich angekommen, mussten die beiden zunächst einmal abwarten, bis ihnen Friedenreich das ausgemachte Zeichen gab. Ortrun öffnete jetzt das Wehr und das Wasser strömte durch die Rinne zum Mühlrad hinab. Dies war eigentlich auch die ganze Arbeit, die es am Wehr zu tun gab. Da noch genügend Wasser im Mühlteich war, würden sie hier verweilen, bis die Väter das Korn gemahlen hatten und sie das Wehr wieder schließen konnten. 'Solange könnten sie sich ja in die Wiese setzen', schlug Ortrun vor. 'Die Arbeit am Wehr wäre eigentlich meist Feruns Platz. Sie selbst würde lieber ihrem Vater unten bei den Mühlsteinen helfen. Sie wisse selbst nicht, was Ferun hier oben immer die ganze Zeit treibe.' Während sie nun im Gras saßen, die Wolken am Himmel beobachteten und auf ein neues Zeichen des Müllers warteten, zeigte Ortrun dem Jungen die Schafherde des Hofes. Die Tiere weideten ein Stück oberhalb des Teiches. Die Hunde des Hofes konnte man ebenfalls auf der Weide entdecken. Die beiden ziemlich großen Tiere würden nahezu den gesamten Sommer über alleine auf die Herde aufpassen. In dieser Zeit musste man nur zwei oder dreimal am Tag nach den Hunden sehen und sie füttern. Bei dieser Gelegenheit konnte man bei Bedarf die Schafe melken und darauf achtgeben, dass ansonsten mit der Herde alles in Ordnung war. Es wurde Abend bis das Korn gemahlen war und alle gemeinsam beim Essen im Haus versammelt waren. 'Es würde noch einiges über die Lehre Teutebrands zu besprechen geben', erklärte Friedenreich, als Brungard und die Schwestern sich gerade daran gemacht hatten den Tisch abzuräumen. 'Sie wollten dies anschließend unten in der Kammer in der Mühle tun, in der desgleichen der Lehrling in der Zeit seines Aufenthalts in Fentovia alleine wohnen würde', setzte der Müller hinzu, bevor er sich mit seinen Gästen auf den Weg hinunter zu der kleinen Hütte machte. Die Kammer wurde normalerweise nur ab und an gebraucht. Gewöhnlich empfing Friedenreich dort die Kunden, sowohl die der Mühle, als auch jene die ihn wegen seiner Tätigkeit als Heiler aufsuchten. Es gab in der Hütte noch einen zweiten Raum, dieser wurde indes lediglich für ein Lager benutzt. Das Korn, Mehl und verschiedene Werkzeuge und Geräte für das Handwerk des Müllers wurden dort aufbewahrt. Hier hatten sie auch Rangubalds Felle verstaut und eben vorhin die Säcke mit dem gemahlenen Korn. Kaum waren sie bei dem Haus neben den Mühlsteinen angelangt, begab Friedenreich sich sogleich in die hintere, kleinere Kammer und hieß seine Gäste derweil vorne auf der Bank Platz zu nehmen. Rangubald und Teutebrand warteten in dem vorderen Raum und konnten durch die geöffnete Tür hindurch sehen, wie Friedenreich hinten im Lager kräftig am hantieren war. Er beschäftigte sich gerade mit zwei Eichenfässern, welche neben den Müllers Utensilien gleichfalls dort aufbewahrt wurden. Als er endlich zurückkam, hielt er drei gefüllte Becher in seinen Händen. 'Sie sollten das Getränk einmal probieren', forderte er die beiden auf. 'Einer seiner Kunden hätte ihm die beiden Fässer überlassen. Dafür liefere und mahle er ihm hin und wieder Korn.' Den Vater musste man hierzu nicht mehrmals auffordern, der Junge hielt sich allerdings genauso gut an seinem Becher fest. Die dunkle Flüssigkeit kam dem Runenmeister auf den ersten Schluck ein wenig bitter vor, dann jedoch entfaltete sie einen vollkommen anderen Geschmack. Deutlich konnte er nun einen Honigduft erahnen und ebenso die Süße von getrockneten und gerösteten Zuckerrüben schmecken. Rangubald war begeistert von dem Getränk und ließ sich bald nachschenken. 'Er wolle das zweite Fass gerne dem Runenmeister bei seiner Abreise mitgeben', erklärte Friedenreich. 'Als Tausch für die vier Säcke Korn, die sie am Nachmittag gemahlen hatten, wäre dies sicher angemessen. Das Fass dürfe er ebenfalls behalten, schließlich wüsste er, dass in Ephalu niemand Fässer bauen würde, wie dies in Ubil der Fall wäre.' Nachdem der Junge sich bereits zuvor zum Schlafen auf das Strohlager gelegt hatte, dauerte das Gespräch nicht mehr allzu lange und Friedenreich entschwand darauf in Richtung des Hauses. Rangubald fand, dass dies der richtige Zeitpunkt wäre, um die Runen hinsichtlich seines vorgesehenen Marktbesuches zu befragen. Der Runenmeister wollte in dieser Sache doch lieber auf Nummer sicher gehen. Obschon Friedenreich ihn beinahe überzeugt hatte, dass es besser wäre, dem Müller die Geschäfte in Fentovia zu überlassen. Durch seine sofortige Abreise würde er außerdem einen ganzen Tag gewinnen, jetzt wo er Teutebrand in Murrtal nicht mehr als Gehilfe hatte, wäre dies gewiss nützlich. Als die Runenstäbe vor ihm lagen, gaben diese Rangubald seltsamerweise eine durchaus bekannte Antwort. Schon auf ihrer Wanderung im Winter von der Ibensul zurück nach Hause nach Ephalu, hatten die Runen diese geheimnisvolle Prophezeiung gemacht. In all den Jahren in denen er jetzt die kleinen Holzstäbchen warf, war dergleichen dem Runenmeister noch nie widerfahren. Zubr Reid Ur - Der Zauber reist durch das Tor. Rangubald beschloss nun endgültig, am nächsten Morgen nahezu unverzüglich nach Murrtal zurückzukehren, damit er dort nach den Seinen schauen konnte. Dementsprechend bereitete der Runenmeister am folgenden Vormittag nach einem kurzen Frühstück seine Abreise vor. Gemeinsam mit Friedenreich lud er das Fass auf den Karren und dieser versicherte ihm währenddessen mehrmals, dass sein Sohn in den Mühle in guter Obhut wäre. Desgleichen würde er für ihn die abgesprochenen Geschäfte erledigen, geradeso als wenn diese seine eigenen wären. Bevor der Runenmeister endgültig aufbrach, verabschiedete er sich von der ganzen Familie und im Besonderen von seinem Sohn Teutebrand. Auf der Anhöhe über dem Tal blieb Rangubald nochmals stehen, er drehte sich um und ließ seinen Blick über die Landschaft unter ihm schweifen. Von hier oben konnte er fast ganz Fentovia überblicken, welches friedlich im Tal hinter dem kleinen Wäldchen lag. 'Fentovia die Schöne, Perle und Zierde des Landes Ubil.' Genau mit diesen Worten wurde meist über diese Stadt gesprochen. Ubil und Fentovia hatten schon zu den Zeiten der großen Prüfung bestanden. Das Land wurde damals von den anderen Stämmen als Diplomat gegenüber dem Heer des Schreckens eingesetzt. In jener Zeit hatte dies der Stadt überwiegend Verluste eingebracht. Durch das damals erlangte Wissen und die Erfahrungen dieser schlimmen Jahre des Krieges ist Ubil allerdings danach, vor allem jedoch Fentovia, zu einem geschäftigen Zentrum des Handwerkes, Handels und Wissens erblüht. Hoffentlich würde dies in den heutigen stürmischen Zeiten auch weiterhin so bleiben. Sogar er als Runenmeister konnte dem Schicksal höchstens in die Karten schauen, gewiss aber nicht den Lauf der Welt ändern. Dafür bedurfte es ganz anderer Kräfte. Wenig später, kaum dass Teutebrands Vater abgereist war, kam ein Mann mit seinem Handkarren den Weg zu der Mühle heraufgelaufen. Offenbar handelte es sich um einen der Bauern, die auf den Höfen weiter unten in dem Seitental lebten, denn Friedenreich erkannte ihn sofort. 'Gleich würde es Arbeit geben', meinte der Müller zu seinem Lehrling und hieß ihn hinauf zum Mühlteich zu gehen. 'Ortrun hätte ihm ja gezeigt, wie das Wehr zu bedienen sei.' Den größten Teil des restlichen Tages verbrachte der Junge deshalb damit, dass er beim dem Mahlen des Korns half. Das Wasser in dem Weiher reichte meist für zwei Säcke voll Getreide, dann musste das Wehr für eine Weile wieder geschlossen werden. In dieser Zeit füllten die Männer an der Mühle das gemahlene Mehl in Säcke, während der Lehrling warten musste, bis sich wieder genügend Wasser im Teich angesammelt hatte. Teutebrand war mit seiner Arbeit bis weit nach Mittag beschäftigt, konnte die Pausen dazwischen aber dafür nützen, um sich an den kleinen Gewässer umzuschauen. Bald entdeckte er die Elster im Schilf am Ufer des Teiches sitzen. Fast erschien es dem Jungen, als hätte ihn die Elster ebenfalls bemerkt, da der Vogel ständig zu ihm herüberblickte. Aus diesem Grund begann Teutebrand ein Spiel, welches er bereits zu Hause mit den Vögeln in Murrtal ausprobiert hatte. Er drehte seinen Kopf ein Stückchen von dem Vogel weg und konnte dann beobachten, dass auch die Elster ihren Köpfchen zur Seite wendete. Nun wartete er einen Augenblick und prompt tat die Elster, als wolle sie etwas von dem Boden aufpicken. Das Picken machte der Junge dieses Mal sogleich dem Vogel nach, um sodann mit seinem Kopf hin und her zu wackeln. Sowie der Vogel dies sah, bewegte auch das Tier sein Haupt, genau auf die gleiche Art auf die zuvor der Junge getan hatte. Nicht jedes Mal wurde der Lehrling oben am Teich eingesetzt, ab und an bedienten Ferun oder Ortrun das Wehr, dann musste er dem Müller am Mühlrad mithelfen. Auf ziemlich ähnliche Weise vergingen die folgenden Tage, ohne dass der Junge übermäßig viel Zeit übrig hatte, in der es ihm hätte langweilig werden können. Nur Abends sobald es dunkel wurde, saß der Junge meist ohne viel Gesellschaft in seiner Kammer. Teutebrand hatte zwar vor der Abfahrt in Murrtal den Zauberstab eingesteckt, zwischenzeitlich hatte er allerdings das Gespräch mit Radewald in der Blockhütte zuhause in Ephalu beinahe vergessen. Nun aber, da er die Abende ganz alleine für sich selbst hatte und fern der Heimat in Ubil nahe Fentovia weilte, holte er den Zauberstab erneut heraus. Der Junge erinnerte sich noch gut an die Worte, vor allem aber an die Zaubersprüche des alten Mannes. Der Kater der nach wie vor durch die Hütte streifte, würde zweifelsohne das passende Versuchsobjekt für seine Zauberkünste abgeben. Jedoch so oft er es auch ausprobierte, das Zaubern wollte ihm anfangs einfach nicht gelingen. Vollkommen egal was er anstellte, wie sehr er sich anstrengte oder ob er es sich noch mehr wünschte, der Vierbeiner machte keinerlei Anstalten zu verschwinden. Teutebrand wollte sich trotzdem nicht so schnell entmutigen lassen und regelmäßig bevor er sich abends auf das Strohlager legte, versuchte er stets den Trick aufs Neue. Eines Tages nach unzähligen misslungenen Anläufen hielt er abermals den Zauberstab in den Händen und während er jetzt zum wiederholten Mal die magischen Worte sprach, verspürte er ganz überraschend ein ungewohntes Kribbeln in den Fingern. Mehr noch, ohne dass es der Junge genauer bestimmen konnte, schien eine Art von Energie seine Arme zu durchlaufen. Eine ähnliche Empfindung kannte Teutebrand lediglich von zu Hause aus Murrtal. Wenn er dort im Winter lange draußen in der Kälte gespielt hatte und danach zurück in die warme Stube gekommen war, hatte er schon des Öfteren dieses Kribbeln in Armen und Beinen gespürt. Doch weder war es in der Stube außergewöhnlich kalt, noch hatte er sich in den vergangenen Tagen krank gefühlt. Der Junge fragte sich daher, was passiert sein könnte und es dauerte einige Momente, bis er überrascht feststellte, dass der Kater verschwunden war. Offenbar schien der Trick dieses Mal tatsächlich funktioniert zu haben. Zunächst war Teutebrand natürlich ein bisschen verstört von seinem unerwarteten Erfolg. Es vergingen einige Augenblicke bis der Junge sich ein wenig beruhigt hatte. Von seinen Zauberkünsten war er trotz allem immer noch nicht ganz überzeugt, deshalb begann er den Kater in der Hütte zu suchen. Nirgendwo jedoch war das Tier zu entdecken und schnell kamen ihm erste Zweifel, ob er denn das Richtige getan hatte. Er wollte den Kater nun unbedingt wieder herbeizaubern, diese Versuche gelangen ihm indessen zuerst ganz und gar nicht. 'Was wohl aus dem Kater jetzt geworden ist?', überlegte der Zauberlehrling sich, da ihn allmählich gleichermaßen sein schlechtes Gewissen plagte. Der Junge wollte gerade völlig frustriert aufgeben und mit wenig Überzeugung murmelte er ein allerletztes Mal seine Zauberformel. Plötzlich durchlief seinen kompletten Körper ein Jucken und Zittern und erneut verspürte er diese seltsame Energie. Ehe Teutebrand sich versah, tauchte der Kater an seinem alten Platz wie aus dem Nichts heraus wieder auf. Gestärkt von seinem schwer erkämpften Triumph, versuchte der Junge an den nächsten Abenden den Zaubertrick wieder und wieder. Mit jedem Male bei dem er den Vierbeiner erst verschwinden ließ, um ihn sofort danach zurückzuholen, fiel ihm das Zaubern zunehmend leichter. Er vermeinte nun zu wissen, dass das Kribbeln und ebenso die Energie die er dabei spürte, irgendwie zu den magischen Kräften dazu gehören mussten. Er probierte seinen Zauberkünsten darauf an anderen Dingen als dem Kater aus. Bei kleineren Gegenständen gelang ihm dies recht bald. Nur für größere Sachen war die Energie, welche er aufbringen konnte, scheinbar noch nicht stark genug. In den ersten Tagen in denen Teutebrand in der Wassermühle verweilte, ereignete sich ansonsten wenig, von dem es sich zu berichten gelohnt hätte. Da war es schon etwas Besonderes, dass Friedenreich seinen Lehrling nach drei oder vier Tagen darüber unterrichtete, dass er am Nachmittag frei hätte, er jedoch seine Kammer benötige. 'Er bekäme Besuch, gleichwohl nicht weil sie Korn mahlen wollten, sondern jemand würde seine Hilfe als Heiler benötigen.' Auf die Nachfrage des Lehrlings hin, wie die Tätigkeit eines Heilers genau aussähe, unternahm der Müller den Versuch ihm dies zu erklären. 'Geradeso wie Brungard die Mutter von Teutebrand eine Brunnenwächterin wäre, sei er ein Heiler', eröffnete Friedenreich seine Rede. 'Beiden Tätigkeiten sei gemeinsam, dass sie sich um die Gesundheit der Bewohner des Dorfes kümmerten. Nur wenn die Brunnenwächterin dies mit ihren Tränken und Kräutermischungen täte, erledige der Heiler dies meist mit Hilfe seiner Hände. Verspannungen etwa wären leicht durch Kneten der betroffenen Körperteile zu behandeln. Jedoch könne er desgleichen einen gebrochenen Fuß oder einen verrenkten Arm richten. Die Brunnenwärterin kenne hier fast immer noch ein Salbe, welche bei der Heilung hälfe, oft auch einen Umschlag der die Schmerzen lindern würde.' 'Manchmal allerdings lägen die Probleme der Patienten, sowohl die einer Brunnenwächterin, als auch jene eines Heilers, mehr an der Einstellung der betroffenen Person. In diesen Fällen könnten oft gute Worte helfen, verbunden mit einem weisen Ratschlag, was der Hilfesuchende an seinem Verhalten ändern müsste. Sicherlich es gäbe weitaus schlimmere Leiden, bei denen weder er noch die Brunnenwächterin mit all ihrem Wissen etwas ausrichten könnten. In diesen Fällen wüssten nur noch die alten Weiber vom Walde ihre Hilfe anzubieten. Indessen seien das Dinge, über die man nicht viel reden sollte. Verschwiegenheit wäre eine der wichtigsten Grundlagen bei solchen Angelegenheiten.' 'Müsse jemand zu den alten Weibern vom Walde, so hatte er zuerst seinen Angehörigen auszurichten, dass er zu einer längeren, gefährlichen Reise aufbrechen müsste. Mit Anbruch der Nacht würden zwei verhüllte, dunkel gekleidete Frauen an seiner Tür klopfen oder ihn an einem verabredeten Platz treffen. Zuerst müssten dem Patienten die Augen verbunden werden und erst danach könnte er zu den alten Weibern vom Walde geführt werden. Diese Vorkehrungen wären unbedingt nötig, um diese Frauen zu schützen. Ansonsten könnten die Angehörigen einen ordentlichen Gram gegenüber den wohltätigen Weibern entwickeln, denn mancher käme nie wieder von dort zurück.' 'Manch einer jener die zurückkehrten, täte dies ohne Arm oder Bein oder gar ohne beides', schloss der Müller seine Ausführungen ab. Teutebrand wusste nicht so recht, was er von Friedenreichs Erzählung halten sollte. Die alten Weiber vom Walde hatte er noch nie getroffen und er war oft alleine in den Wäldern und den Tälern Ephalus unterwegs gewesen. In gleicher Weise wollte er seinen freien Nachmittag nützen und auf einen Streifzug durch die Nachbarschaft gehen. Ortrun hatte keine Zeit, sie half Kunrada beim Pflügen der Felder. Also machte er sich auf die Suche nach Ferun, um sie zu fragen, ob sie ihn begleiten wollte. Er entdeckte das Mädchen schließlich oben am Mühlteich, obwohl heute gar nicht gemahlen werden sollte. Umgehend beschloss er sich leise anzuschleichen, denn er wollte Ferun überraschen und ihr vielleicht ein Streich spielen. Gleichzeitig war er ziemlich gespannt darauf zu sehen, was die kleine Schwester im Moment an dem Weiher wohl anstellte. Als er sich dem Gewässer näherte, konnte er beobachten, dass das Mädchen einfach nur am Teichufer stand. Völlig ruhig verharrte sie dort an Ort und Stelle und hielt dabei die Hände vor ihrem Körper waagerecht ausgestreckt. Dann fing Ferun an die Arme ein wenig zu bewegen und in der Folge liefen leichte Wellen über den Teich. Es erweckte beinahe den Eindruck, dass die Bewegung auf dem Wasser immer geradewegs in die Richtung verlief, in welche die ausgestreckten Hände des Mädchens zeigten. Verblüfft gab Teutebrand ein kleinen Schrei von sich, weil ihn dies sehr an seine Zauberei in der Kammer erinnerte. Jetzt bemerkte ihn die jüngere der Schwestern, sie wandte sich ihm zu und tat als ob nichts gewesen wäre. Teutebrand hatte sich wahrscheinlich schlichtweg getäuscht. Gewiss hatte der Wind die Wellen auf dem Teich verursacht. Am nächsten Morgen verkündete Friedenreich, dass sie heute nach Fentovia fahren würden. 'Der Junge solle Esel und Karren vom Haus herüberholen und beides zur Mühle bringen, damit sie die Waren aufladen könnten.'