Kapitel 9 - Umbrosia Erst Ferun, dann Ortrun und schließlich Teutebrand mit der Elster auf seiner Schulter klettern über das Geröll am Höhlenausgang hinweg. Mehr als nur ein Mal hatten die Abenteurer in den vergangen Tagen sich den Kopf über eine mögliche Rettung aus ihrem unterirdischen Verlies zerbrochen. Oft hatten sie sich gefragt, was sie im Schattenland dann erwarten würde. Sogar ihr gefiederter Freund hatte sich bereits auf die vermeintliche, wiedererlangte Freiheit in der wärmenden Sonne gefreut. Zunächst dauert es jedoch einen Moment, bis die Gefährten mit der Helligkeit zu recht kommen, die sie vor dem Zugang zu der Grotte endlich wieder umgibt. Nach der langen Zeit, welche die drei in nahezu völliger Dunkelheit in der Höhle verbracht haben, müssen ihre Augen sich erst langsam an das so sehr vermisste Licht gewöhnen. Indessen was sie in Umbrosia vorfinden, entspricht überhaupt nicht den Erwartungen, welche die Gefährten zuvor gehegt haben. Lediglich eine flache und nahezu vegetationslose Einöde erstreckt sich nun vor ihnen bis zu dem in dichten Nebelschwaden gehüllten, fernen Horizont. Die Enttäuschung der Wanderer ist von daher jetzt unbeschreiblich groß, weil neben der gähnenden Leere der weiten, konturlosen Landschaft, offenbar hat sich ebenso das Wetter gegen die Freunde verschworen. Keinen einzigen Sonnenstrahl können die drei an dem grauen, wolkenverhangenen Himmel ausmachen. Allzu lange dauert es derweil nicht, dass die Verdrossenheit der Abenteurer dem puren Entsetzen weicht. Überall um sie herum auf dem Boden verstreut, entdecken die Gefährten die blanken, blassen Knochen und Schädel von Tieren. Manches gar deutet daraufhin, dass unter dem Geröllschutt verborgen, sogar die knöchernen Überreste von verschütteten Menschen zu finden sind. Die zahllosen Opfer über die sie regelrecht stolpern, können nicht alleine dem Erdrutsch geschuldet sein, dafür sind sie zu zahlreich und gleichfalls zu weit über die Ebene verteilt. Schlagartig müssen die Freunde daran denken, was sie zuvor in der Höhle erlebte haben. Geradezu unwillkürlich fällt ihnen dabei abermals die Geschichte der Skelette über den Sensenmann ein. Selbst Teutebrand vergisst bei diesem grausamen Anblick jeden Gedanken daran, den Schwestern seinen Triumph vorzuhalten und diesen gar auskosten zu wollen. Schließlich hatte er Recht behalten und von daher hätte er jeden Grund gehabt sich darüber zu freuen. Den Ausgang hatten sie schlussendlich genau dort gefunden, wo er es zuvor beschrieben hatte, nachdem er aus seinem Zustand der Trance aufgewacht war. Dies alles ist jetzt unwichtig geworden, denn bevor einer der Gefährten sich nur die Frage stellen kann, woher dieses furchtbare Szenario stammen mag, verdunkelt sich der Himmel völlig unvermittelt noch mehr. In der Folge taucht hingegen kein Knochengerüst mit seiner scharf gedengelten Sense aus dem Nebel auf. Vielmehr durchbricht plötzlich ein ganzer Schwarm von Flugwesen die dichten Wolken, die am Himmel über den Gefährten stehen. Hätten die Wanderer nun gedacht, die Fledermäuse würden zurückkehren, so wäre dies ein fataler Fehler gewesen. Beim Anblick der Monster, welche jetzt völlig unvermittelt auf die Abenteurer zukommen, gefriert jedem Einzelnen von den dreien beinahe das Blut in den Adern. Bei den Ungeheuern die über ihren Köpfen in der Luft kreisen, handelt es sich nämlich genauso wenig um Vögel, noch nicht einmal um riesige aasfressende Geier. Diese Biester, die am helllichten Tag das Firmament verdunkeln, als würde bereits die abendliche Dämmerung einbrechen, glichen auch auf keinen Fall einem fliegenden Drachen. Selbst dann könnte man sie nicht für solche Fabelwesen halten, wenn man berücksichtigt, dass die Viecher fast halb so groß sind, wie das Tier gewesen war, welchem sie im See in Dunkelwelt begegnet sind. Höchstens mit Schimären lässt sich das beschreiben, wovon die Gefährten in diesem Moment überraschend angegriffen werden. Es sind Kreaturen, welche dem schlimmsten ihrer Albträume entlaufen sind. Erschreckend aussehende Mischwesen, fast nur aus sabbernden Mäulern und gierenden Schnäbeln bestehend, stehen ihnen nun in den Lüften gegenüber. Ausgeburten krankhafter, absurder Phantasien, dekoriert mit scharf gewetzten Krallen und prankenden Tatzen, getragen von mächtigen Schwingen, bei denen jeder einzelne Flügelschlag den eiskalten Hauch des Todes verbreitet, attackieren die Wanderer nun vollkommen unvorbereitet. Die ältere Schwester hat die Starre als Erste überwunden, in welche die Freunde aus reiner Furcht beim Anblick der fliegenden Monster gefallen sind. Nach den schrecklichen Erlebnissen der letzten beiden Tage endlich ihrem unterirdischen Verlies entronnen, kommt das Mädchen sich allmählich ziemlich veräppelt vor. Nun wenn also irgend jemand meinen würde, sie weiterhin auf den Arm nehmen zu müssen, der sollte dies ruhig ausprobieren. Sie war gewappnet und derjenige würde außerordentlich einprägsam zu spüren bekommen, was ihn hierbei erwartet. Ortrun zieht umgehend Balmung aus seiner Scheide. Daraufhin schlägt sie wütend auf jedes der grausigen Viecher ein, welches sich in ihre Reichweite wagt. Groß ist indes ihr Entsetzen, denn das Mädchen muss feststellen, dass die Flugwesen durch die Schwerthiebe offensichtlich nicht verletzt werden. Die Waffe gleitet einfach durch die hässlichen Kreaturen hindurch, ohne dabei irgendwelchen sichtbaren Schaden zu verursachen. Die Schimären ziehen sich dennoch umgehend zurück, sobald sie mit dem magischen und von Drachenblut benetzten Schwert in Berührung kommen. Nicht sehr weit von der großen Schwester entfernt, wenden sich die Biester allerdings auf ihrer Flucht und setzen sofort zu einem neuen Angriff an. Selbst dies kann das Mädchen jetzt nicht mehr im Geringsten überraschen. Umso entschlossener führt Ortrun nun ihre Schwerthiebe mit grimmig dreinblickender Miene gegen die Schimären. Tatsächlich kann sie die Angreifer auf diese Weise die ganze Zeit über auf Distanz halten. Zugleich hat Teutebrand zwischenzeitlich seine Fassung zurückerlangt und will mit seinen Zauberkünsten Ortrun zur Seite springen. Nach seinen in der Höhle gesammelten Erfahrungen lässt er den Zauberstab hierfür lieber gleich stecken, davon verspricht er sich in der jetzigen Situation wenig. Vor seinem Körper streckt der Müllergeselle stattdessen beide Hände nahe beieinander aus. Teutebrand murmelt dazu einen komplizierten, geheimnisvollen Zauberspruch, der selbst für die dicht neben ihm stehenden Mädchen absolut unverständlich ist. Mit einem Male flimmern kleine, bläuliche Flammen über die Ärmel seines Pullovers, wandern von der Schulter des Jungen die Arme entlang zu den Händen und bilden letztlich an seinen Fingerspitzen einen rötlich flackernden, funkensprühenden Feuerball. Angesichts des allgemeinen Tohuwabohus das der Müllergeselle anstellt und welches auch ansonsten überall herrscht, fühlt die Elster sich unübersehbar äußerst unwohl auf ihrem angestammten Platz. Hierauf flüchtet der Vogel von der Schulter des Jungen zu der kleinen Schwester. Ferun kann momentan eigentlich gar nichts tun, deshalb steht sie die ganze Zeit über ruhig in der Mitte zwischen Ortrun und Teutebrand. Selbst wenn man dem Mädchen ansieht, dass ihr das chaotische Geschehen einige Sorgen bereitet, versucht sie trotzdem gelassen zu bleiben und die Situation so entspannt wie nur irgendwie möglich zu nehmen. Der Müllergeselle seinerseits erhebt jetzt die Arme in Richtung des nächsten der Angreifer. Er schätzt nun mit einem kurzen Blick die voraussichtliche Flugroute des anstürmenden Biestes ab und schleudert sodann die Kugel aus Flammen mit einem unglaublichen Tempo auf die Schimäre. Die furchterregenden Flugwesen nehmen offensichtlich die Gefahr gar nicht war, die ihnen durch die Zauberkunst des Jungen droht. Ganz im Gegensatz zu Ortruns Schwerthieben, welche die Viecher schadlos wegstecken können, haben die Biester den magischen Kräften des Müllergesellen nichts entgegenzusetzen. Eine nach der anderen der grausigen Kreaturen wird in der Luft gleich einer Seifenblase zerrissen, sobald sie von dem Feuerball getroffen werden. Geradewegs wie ein Stier dem ein rotes Tuch vor der Nase herum geschwenkt wird, attackieren die restlichen Schimären stumpfsinnig die Freunde immer weiter, anstatt dass sie vernünftiger Weise Reißaus nehmen würden. Aus diesem Grund dauert es nicht übermäßig lange, bis der Müllergeselle schlussendlich alle Angreifer erledigt. Gleich einem Stein fällt wenig später der unansehnliche Rest des letzten der Viecher vom Himmel und schlägt direkt bei den Freunden am Boden auf. Erschöpft sinken hierauf Ortrun und Teutebrand beinahe zeitgleich auf ihre Knie. Währenddessen krault das jüngere der Mädchen weiterhin die Elster auf ihrer Schulter am Ansatz des Schnabels. Nebenher füttert sie den Vogel mit einigen Nüssen, welche sich auf nahezu wundersame Weise in ihren Beutel verirrt haben müssen. Die große Schwester hat sich zwar kaum erholt, nichtsdestoweniger fällt ihr dennoch Feruns Treiben auf, ungläubig und gebannt schaut sie diesem einige Zeit zu. 'Die kleine Prinzessin, geradewegs wie immer, ob ihr die Vorstellung wenigstens gefallen habe?', blafft sie schnippisch das jüngere Mädchen an, kaum dass sie wieder etwas zu Atem gekommen ist. Ferun schenkt der großen Schwester gleichwohl nicht einmal recht Beachtung. Nur zu gut kennt sie die gelegentlichen, neidischen Aussprüche von Ortrun, meist meinte diese es aber gar nicht so. Im Nu ist die kleine Reiberei vergessen und nachdem die Gefährten sich von den ausgestandenen Strapazen erholt haben, setzen sie ihren Weg in Richtung Osten fort. Den ganzen Morgen über bleibt die Sonne hinter dichten Wolken verborgen, wodurch die überaus trostlose Umgebung in einem diffusen Zwielicht verweilt. Eine halbe Ewigkeit wandern die Abenteurer durch diese von jeglichen Lebewesen verlassene monotone Heidelandschaft, bis sie ungefähr um die Mittagszeit auf einen breiten Fluss stoßen. Als Hindernis auf dem Weg der Gefährten durchzieht das Fließgewässer vor ihnen die Ebene von Süden nach Norden hin. Bereits von Weitem können die Wanderer eine merkwürdig erscheinende Gestalt erkennen, welche am Ufer des gemächlich dahinfließenden Wasserlaufes steht und eine lange Holzstange in der Hand hält. Wie die drei allmählich näherkommen, springt ihnen darüber hinaus ein Boot mit ganz flachem Boden ins Auge, das auf dem Gewässer hinter der Person vor sich hindümpelt. Anscheinend handelt es sich um einen Fährmann, welcher die Reisenden in Umbrosia gewöhnlich mit seinem Gefährt über den Fluss bringt. Dagegen fällt es selbst nach genauerem Hinschauen nicht leicht die Person zu beschreiben, die offenbar das Boot steuern soll. Den ganzen Körper des Mannes umhüllt ein langes, weites, dunkles Gewand. Dieses ähnelt sehr einem Mantel und reicht bis zum Boden hinunter. Über dem Kopf trägt die Erscheinung eine Kapuze, die das Meiste ihres Gesichtes verbirgt. Wirklich gut zu erkennen sind lediglich zwei Augen, feuerrot stechen selbige unter der Kopfbedeckung hervor. Mit ihrem furchteinflößende Blick mustert die Gestalt fortlaufend die Gefährten abschätzig, ihr Hauptaugenmerk gilt dabei eindeutig dem Schwert, das an Ortruns Gürtel hängt. 'Ob sie denn nun den Fluss überqueren wollten?' Wie der Knall einer Peitsche durchschneidet die Frage des Fährmanns unvermittelt die Stille des Schattenlandes. 'Für einen kleinen Lohn könnte er sie gerne übersetzen', fügt die Person etwas zurückhaltender hinzu. Wobei sich die dröhnende Stimme immer noch so anhört, als würde sie aus einer tiefen, feuchten, düsteren Grube heraus gesprochen. 'Was sie ihm für seine Dienste anbieten könnten?' Der kleinen Schwester ist die Situation sichtlich nicht geheuer. Bestimmt hegt nicht nur sie die Vermutung, dass ihnen in der Gestalt des Fährmanns der Sensenmann gegenüberstehen könnte. Teutebrand bemerkt daraufhin, wie Ferun ihn mit ihren Blicken dazu auffordert, vorsichtig zu sein. Indessen lassen nicht alleine die Bedenken der kleinen Schwester den Müllergesellen zögern. Einige Momente lang muss der Junge sich überlegen, was er auf die Frage der seltsamen Erscheinung antworten sollte. Ratlos ist der Junge am Grübeln, da kommen ihm mit einem Male die Seherinnen in den Sinn. 'Solange Herz und Verstand standhaft ist, den rechten Weg kannst finden', hatte es in einem Vers ihrer Lieder geheißen. 'Nun um einen Fluss überqueren zu können, sollte man den Fährmann bezahlen, wenn dieser einen Lohn für seine Dienste verlangt', denkt sich zumindest Teutebrand, bevor er schließlich nach seinen Beutel greift. Umständlich kramt der Junge in seiner kleinen Ledertasche herum, ehe er der Person in ihrem dunklen Umhang fünf Kupferstücke reicht, ohne auch nur ein Wort dabei zu verlieren. Erfreut schaut der Fährmann trotz alledem nicht aus. Nach einigem Zieren und Zaudern gibt der Müllergeselle daher der Gestalt ebenso die letzte halbe Münze, welche er im Beutel aufbewahrt. Zwar nimmt der vermeintliche Bootsführer die Münzen entgegen, allerdings zeigt er sich ziemlich ungehalten dabei. Die Gestalt wendet sich anschließend ruckartig voller Wut von den Gefährten ab, dreht ihnen den Rücken zu und wirft in ihrem Zorn sodann den Stock in den Fluss. Hierauf verschwinden das Gewässer samt Boot und Fährmann plötzlich auf unerklärliche Weise, als hätte es nichts davon jemals gegeben. Die Gefährten bleiben alleine zurück, wobei sie sich kaum Gedanken über das gerade Erlebte machen, denn zu viele seltsame Dinge sind ihnen die letzten Tage schon widerfahren. Ohne das Gewässer, welches sie von daher auch nicht mehr überqueren müssen, sollten die Freunde jetzt ihren Weg relativ einfach fortsetzen können. Teutebrand läuft wiederum seinen beiden Gefährten voraus, als die drei sich umgehend an die Überquerung der weiten Ebene machen. Bereits nach wenigen Schritten versinkt der Müllergeselle jedoch ohne jegliche Vorwarnung bis zur Hüfte im Moor. Ferun ist sofort klar, was die Ursachen für die Schwierigkeiten des Jungen sind. Geistesgegenwärtig löst die kleine Schwester ihren Gürtel, um dem Jungen ein Ende davon entgegenzuhalten, so gut dies eben in ihrer augenblicklichen Lage geht. Mit größter Mühe kann Teutebrand das geflochtene Lederband halbwegs erreichen und er umgreift es sogleich mit beiden Händen. Während der Junge sich nun an dem Gürtel festhält, ziehen ihn die Schwestern gemeinsam aus dem morastigen, trügerischen Untergrund heraus. Zurück auf sicherem Boden setzen alle drei sich ratlos nieder, beratschlagen ein weiteres Mal, was zu tun ist. Bestimmt muss es einen Weg geben, das abweisende, unzugängliche, heimtückische Moor durchqueren zu können. Auf der Suche nach einer solchen Lösung ihres momentanen Problems, laufen die Freunde am Ufer des bedrohlichen Morastes entlang. In der Nähe der Stelle, an welcher sie zuvor dem Fährmann begegnet sind, finden sie kurz darauf eine hölzerne Stange. Wahrscheinlich ist es der selbe Holzstock, den die seltsame Gestalt zuvor in der Hand gehalten hat. Der Müllergeselle hebt das Holzstück auf und trägt den Stock bei sich, während sie das Ufer nach einem Pfad absuchen. Schließlich entdecken die Abenteurer eine vermeintlich vertrauenswürdige Passage, die sie durch die feuchte Ödnis des Moores vor ihnen führen müsste. Sich der Gefahr bewusst, die auf sie wartet, beschließen sie dennoch, dem selten begangenen, kaum erkennbaren Trampelpfad zu folgen. Die Schwestern halten sich dicht hinter dem Müllergesellen, als dieser sie hinaus in die Ungewissheit des Sumpfes führt. Vor jedem seiner Schritte prüft Teutebrand mit der hölzernen Stange in seiner Hand nun den weichen, unsicheren Grund. Die drei tasten sich auf diese Weise vorsichtig und mühsam im Gänsemarsch vorwärts. Selbst bei aller Umsicht droht jeder von ihnen mehrmals in dem schwer einzuschätzenden, bodenlosen Schlamm unterzugehen. Trotz dieser ständigen Bedrohung erreichen die Gefährten schlussendlich munter und unverletzt den festen Boden auf der gegenüberliegenden Seite des Sumpfes. Glücklich und voller Übermut, dass sie das alles verschlingende Moor überwunden haben, lässt sich der Müllergeselle dazu hinreißen, mit der Holzstange zaubern zu wollen. Kaum hat der Junge seinen Zauberspruch gesprochen, da durchläuft ein gleißender Lichtblitz den Stab und das Stück Holz in seiner Hand zerbröselt jäh zu feiner Asche. Nahezu im selben Moment hört Teutebrand den mehrmaligen Ruf eines Falken. Er blickt zum Himmel auf und sieht dort den Raubvogel hastig in Richtung des Bergmassives streben, in welchem die Gefährten die letzten Tage verbracht haben. Am Rande ihres Weges beginnt allmählich die Vegetation sich zu verändern, auch das Wetter hat offenbar beschlossen besser zu werden. Während nun die Sonne gelegentlich durch die dichten Wolken bricht, laufen die Abenteurer durch eine im Verwelken begriffene, ausgedörrte Heide. Spärlichen Wiesen und dornigen Hecken, sowie niedrige Büschen und Sträucher begleiten sie den ganzen Nachmittag über. Einzelne geduckte Bäume, vom Wind ganz schief in Richtung der aufgehenden Sonne geblasen, stehen verloren über die ganze Ebene verteilt. Gerade sind die Gehölze im Begriff ihre Blätter in den verschiedensten Farbtönen zu verfärben oder gleich ganz abzuwerfen. Einige Zeit später, bereits gegen Abend, ändert sich die Umgebung erneut. Neben abseits liegenden, kleineren Wäldchen sind jetzt verstreute, inselartig Haine von Hasel und Weide die wenigen dominierten Elemente in der Landschaft entlang des Weges ihrer Wanderung. Als die Gefährten wenig später eine solche Ansammlung von Laubbäumen passieren, ohne besonders darauf Acht zu geben, hören sie vollkommen unerwartet ein Schluchzen und Klagen aus dem Gehölze dringen. Umgehend lenken die Abenteurer ihre Aufmerksamkeit auf das dichte Buschwerk. Zwischen den Büschen verborgen entdecken sie sodann ein jungen Mann, welcher dort sitzt und sich an einem Baumstamm anlehnt. Offensichtlich hat der Bursche die Wanderer bereits seit längerer Zeit beobachtet, denn stracks tritt er aus dem Unterholz heraus. die Gefährten grüßen den Fremden freundlich und ohne dass sie diesen erst dazu auffordern müssten, schildert ihnen der junge Mann betrübt sein Leid. 'Erst gestern in der Nacht habe er bei einer Prinzessin vorgesungen, um ihr Herz zu erobern und ihre Gunst zu erlangen. Statt den erhofften Liebeslohn von ihr zu bekommen, habe das edle, hochgeborene Fräulein jedoch ihren Nachttopf über ihm aus dem Fenster geschüttet', berichtet er den Gefährten traurig. 'Dies sei gewiss ein Versehen gewesen', versucht ihn Ferun voller Mitgefühl zu trösten. 'Vielleicht wolle er ihnen jetzt etwas vorsingen, anders als die Prinzessin dies getan hat, würden sie ihm gerne zuhören', bittet die kleine Schwester den verhinderten Minnesänger daraufhin, mit der Absicht den jungen Mann ein bisschen aufzuheitern und ihn gleichzeitig ein wenig von seinem Kummer abzulenken. Allerdings ist der Bursche nicht sehr begeistert von der Idee des Mädchens, anscheinend plagen ihn weiterhin die traumatischen Erlebnis der vergangenen Nacht. Durch jede Menge gutes Zureden gelingt es den Gefährten zu Schluss den vermeintlichen Minnesänger dazu zu bewegen, dass dieser vor den dreien ein Ständchen zum Besten gibt. Gewiss war dies nicht ihre beste Idee, müssen die Abenteurer indes feststellen, nachdem der Bursche dann wirklich mit dem Singen beginnt. Denn was der absolut untalentierte Sänger in der Folge von sich gibt, würde kaum jemand ein Lied nennen. Ähnelt sein Gegröle doch mehr dem Krächzen eines Raben oder dem Kreischen zweier kämpfender Kater. 'Er könne jetzt ruhig aufhören, sie wüssten inzwischen woher seine Probleme stammen würden', wirft Ortrun gewandt ein. Sichtlich gekränkt und nicht ohne zu murren, folgt der unglückliche Bursche widerwillig dem Rat der großen Schwester. Hiernach stecken die Freunde ihre Köpfe zusammen und überlegen, wie sie dem arg gebeutelten jungen Mann helfen können. Am Ende ist Teutebrand derjenige, dem zuerst etwas einfällt. Der Müllergeselle hat dabei an die Pfeilspitze gedacht, welche er in seinem Beutel mit sich herumträgt. Öfters hatte er diese Bereits im Sommercamp bereits herausgenommen und sie ausführlich betrachtet. Bei dieser Gelegenheit hatte er erkannt, dass der Guss des Eisens offensichtlich nicht geglückt ist. Im Innern des Stück Gusseisens verläuft vom Schaft bis über die Hälfte der Länge des metallenen Teiles hinauf eine Aushöhlung durch das Metall. Ziemlich genau in der Mitte besitzt die Pfeilspitze zudem auf Vorderseite, als auch der Rückseite ein kleines Loch, sodass man sogar durch sie hindurchschauen konnte. Des Weiteren hatte der Müllergeselle herausgefunden, dass man auf dem kleinen Gussteil sogar Melodien spielen kann. Hierbei glichen die Töne denen der kleinen Weidenflöten, welche sie damals als Kinder immer gebaut haben. Nach einigem Herumkramen entdeckt der Junge die Pfeilspitze schließlich in seinem Beutel. Vollkommen überraschend fällt ihm beim Herausnehmen eine Knoblauchzehe aus der Öffnung am Schaft des Metallteiles entgegen. Verwundert schüttelt Teutebrand seinen Kopf. Er würde sich bestimmt daran erinnern, wäre die aufdringlich riechende Gemüseknolle schon zuvor bei seinen Habseligkeiten gelegen. In diesem Augenblick spürt der Junge, wie die Elster sich ungelenk an seine Mütze drückt und es dämmert ihm langsam, wie sein Zufallsfund in den Beutel gelangt ist. Der Müllergeselle überreicht dem unglücklichen Sänger das Metallstück. Alsdann zeigt er dem Burschen, wie sich die Pfeilspitze gleich einer Pfeife verwenden lässt. Dazu bläst man schräge gegen die Öffnung am Schaft, während man mit den Fingern abwechselnd die beiden kleinen Löcher abdeckt. Hierdurch erklingen mehrere unterschiedliche Flötentöne und kann man dem unauffälligen Stück Eisen mit Hilfe ein virtuosen Fingerspieles vollständige Melodien entlocken. Ferun hat darüber hinaus eine andere Idee, was man mit dem unscheinbaren Metallstück anstellen kann. Nimmt man die Pfeilspitze mit der Spitze voraus halb in den Mund und hält sie derart mit den Zähnen fest, so lässt sich damit sehr gut das Singen üben. Der verschmähte Minnesänger macht sich umgehend daran, die zwei Ratschläge auszuprobieren. Die Flötentöne gelingen ihm sofort recht gut und selbst sein Gesang klingt gleich ein bedeutendes Stückchen besser. Nichtsdestotrotz ist er in beiden Künsten nach wie vor fern von jeder Meisterschaft. 'Möglicherweise könnte er ihnen ebenfalls helfen', wendet die kleine Schwester sich nun an den jungen Mann. 'Sie müssten in diesem Land etwas Wichtiges für ihr Volk erledigen, wüssten aber nicht so genau, was dies denn sei. Eine Ahnung sei ihr derweil in den Sinn gekommen, wonach sie suchen würden.' Bei Feruns Worten nickt der Angesprochene mehrmals zustimmend mit dem Kopf, sogleich möchte er den Gefährten antworten. Jedoch können die Freunde kein einziges Wort von dem verstehen, was der Bursche ihnen hierauf zu erzählen versucht. Schlagartig wird den Abenteurern die Ursache für das unverständliche Gebrabbel des Minnesänger klar, denn die drei bemerken, dass dieser immer noch die Pfeilspitze zwischen den Zähnen festhält. 'Sie möge ihn doch nur fragen, wenn sie etwas wissen wolle, solchen Freunden würde er gerne helfen', versucht es der Sänger nochmals, nachdem er das Metallstück aus dem Mund genommen hat. 'Ob er von einem Drachen gehört hat, welcher in dieser Gegend leben würde?', erkundigt sich Ferun nun bei ihm. Deutlich merkt man der kleinen Schwester an, wie gespannt sie auf die Antwort des Burschen ist. 'Selbstverständlich habe er von einem Drachen gehört. Die Leute im Schattenland würden viel über dieses Wesen reden und hätten sogar einen eigenen Namen für dieses Tier gefunden. Bei ihnen würde man die Kreatur Lanhein nennen. Den Berichten nach, welche er gehört habe, würde der Drache sich meist reichlich seltsam aufführen. Nicht wirklich gefährlich oder gar bösartig sei die Kreatur, geradezu das Gegenteil sei der Fall. Von dem Wesen erzähle man sich vielmehr lauter alberne, teilweise auch nahezu unglaubliche Geschichten, wobei dies im Schattenland fast schon wieder die Normalität sei.' 'Er selbst habe den Drachen aber noch nie getroffen', fügt der Minnesänger hinzu. 'Weit im Osten, dort wo die Sonne am Morgen aufgeht, müsse Lanhein wohl leben. Viel mehr als Sumpf und Moor würde es in der abgelegenen Gegend kaum geben.' Dies ist aber schon alles, was die Freunde von dem Burschen erfahren können, weil dieser sich darauf erneut selbstvergessen mit der Pfeilspitze beschäftigt. Eine Zeit lang bleiben die Gefährten unschlüssig neben dem jungen Mann stehen, um dann endgültig aufzubrechen. Bevor die drei weiterwandern, verabschieden sie sich von dem Minnesänger, fast ohne dass selbiger Notiz davon nimmt. Bald darauf schlagen die Abenteurer ihr Lager für die Nacht auf, denn die Dunkelheit bricht herein. Außer einigen Resten des Proviants, welchen sie bei ihrem Aufbruch an der Ibensul eingepackt haben, ist den Freunden nicht mehr viel zu Essen geblieben. Zusammen mit einige Beeren, die sie den Tag über am Wegesrand sammeln konnten, verspeisen die drei ihre letzten Vorräte. Lediglich die Schläuche aus Ziegenhaut, in denen sie das Trinkwasser mit sich führen, haben die Gefährten jetzt noch dabei. Immer wenn sich eine Gelegenheit bietet, müssen die Wanderer ihre Wasserschläuche auffüllen, damit ihnen das Trinken unterwegs nicht auch noch ausgeht. In dieser Nacht wird die kleine Schwester von einem neuen Albtraum geplagt. Zu Beginn ihrer Vision sieht sie, genau wie das vorherige Mal, den Drachen mit der aufgehenden Sonne hinter ihm am Morgenhimmel. Jetzt allerdings liegt der Drache tot in seinem eigenen Blut, während neben ihm das blutverschmierte Schwert Balmung zu erkennen ist. Der Umstand der Ferun an ihrem Traum am meisten verstört, sind die ungewöhnlichen Farben der Dinge, welche darin auftauchen. Die Sonne scheint ganz blau am Firmament, hingegen ist das Blut des Drachens giftgrün. Der Alptraum des Mädchens ist indes lange noch nicht zu Ende, ebenso wenig wird er in der Folge beruhigender für sie. Kurz darauf sieht die kleine Schwester in ihrer Vision nämlich die Stadt Fentovia brennen und genauso ihr Zuhause die Wassermühle in Flammen stehen. Gleich der vorherigen Traumsequenz passen die Farben nicht zu den Dingen, so lodern etwa die Flammen der Feuer in dem selben grellen Grün, wie zuvor das Blut des Drachens. In vollkommen verzehrten Bildern träumt die kleine Schwester danach, dass die Mädchen gemeinsam mit den Eltern im Wald in Zelten wohnen. Mit zahlreichen Anderen sitzen sie um ein Lagerfeuer, lediglich in ein paar Felle von Tieren gehüllt. In den grünlich flackernden Flammen kann man die Gesichter der Menschen erkennen, wobei diese mit dunklem Schlamm beschmiert sind. Obendrein hat ein jeder der Menschen die am Feuer sitzen ungepflegte, lange, zottelige Haare. Teutebrand wird mitten in der Nacht wach, da er die kleine Schwester an seiner Seite voller Angst schreien hört. Im ersten Moment hat er keine Ahnung was geschehen ist, dann bemerkt der Junge jedoch, dass Ferun neben ihm sich im Schlaf windet und um sich schlägt. Besorgt darüber, sie könnte sich dabei verletzen, weckt der Müllergeselle das Mädchen äußerst behutsam auf. Völlig verschlafen und in Schweiß gebadet, erzählt ihm die kleine Schwester anschließend von ihrem verstörenden Traum. Allerdings kann sich keiner von beiden so recht erklären, wieso die bedeutungsschwangeren Bilder das Mädchen in ihrem Schlaf derart gequält haben. Die Schuld an dem seltsamen Traum schieben sie aus diesem Grund der großen Aufregung der vergangenen Tagen zu, von der Ferun offensichtlich selbst noch bis in ihren Schlaf hinein verfolgt wird. Das Mädchen schildert anschließend dem Müllergesellen ihre erschreckenden Traumbilder und sogleich beruhigt sich die kleine Schwester etwas. Da es eh noch mitten in der Nacht ist, legen sie sich daraufhin wieder schlafen. In der Frühe im hellen Sonnenschein haben die beiden den Vorfall fast schon vergessen, deshalb erzählen sie Ortrun erst gar nicht davon. Ihre Wanderung auf der Suche nach dem Drachen führt die Gefährten an diesem Morgen durch eine beinahe topfebene, steppenartige Landschaft, welche lediglich von einzelnen versprengten Bäumen und Baumgruppen unterbrochen wird. Arglos gehen die drei gerade an einem dieser Haine vorbei, als ihnen ziemlich überraschend auffällt, wie auf einem der Bäume etwas sich bewegt. Zuerst vermuten die Wanderer, sie hätten zufällig ein paar Eichhörnchen entdeckt. Diese nicht sehr großen Nagetiere sind bekannt dafür, dass sie gerne von einem Ast zum anderen springen. Umso überraschender entpuppen sich die skurrilen Baumbewohner beim Näherkommen vielmehr als eine Art Zweibeiner, die von ihrem Wuchs her kleinen Menschen überaus ähnlich sehen. Tatsächlich könnte man die putzmunteren, wieselflinken Wesen auf den ersten Blick für Zwerge halten. Schaut jemand indessen genaueren hin, sprechen dieser Vermutung vor allem zwei Umstände entgegen. Zum einen besitzen die kleinen Tiere ein dichtes Fell, zum anderen haben sie viel größere Füße, als man jemals erwarten würde. Nun der geneigte Leser vermutet wahrscheinlich bereits, dass es sich bei den vermeintlichen Baumhörnchen um die Rabauken Odin, Thor und Freya handelt. Die Abenteurer, die dies überhaupt nicht wissen können, wundern sich derweil immer noch über das ungewöhnliche Aussehen der putzigen Wesen. Ihr Erstaunen wird noch viel größer, denn unvermittelt beginnen diese sonderbaren, auffälligen Baumwichtel ein Gespräch mit den Freunden. Die drei wollen sich selbstverständlich solch eine unerwartete Gelegenheit nicht entgehen lassen. 'Was sie über einen Drachen wüssten, der in dieser Gegend leben würde?', fragen die Gefährten daher die Trolle ohne Umschweife. 'Der Drache er sei von Grund auf böse!', vernehmen die Freunde von ihrer flüchtigen Bekanntschaft, selbst wenn dies so gar nicht in das Bild passen möchte, welches die Abenteurer sich bisher von Lanhein gemacht haben. 'Ob ihnen denn nicht aufgefallen wäre, wie leer und verlassen das Land um sie herum sei?', raunt es des Weiteren geheimnisvoll vom Baum herab. 'Das würde alleine daran liegen, dass der Drache die meisten Wälder und fast alle Dörfer niedergebrannt habe. Den Lebewesen, die in großer Anzahl hier früher im reichhaltigen Überfluss einer bezaubernden Landschaft gelebt hätten, wäre es noch viel schlimmer ergangen. Beinahe alle Bewohner egal ob Mensch, ob Tier, wer nicht sogleich von selbst geflüchtet sei, den habe das Untier einfach aufgefressen. Aus diesem Grund sollten die Freunde gut auf sich aufpassen, falls sie dem Drachen jemals begegnen würden. Von vielen der unglücklichen Kreaturen könnten sie erzählen, welche den Drachen suchen gegangen seien.' 'Im Gegensatz dazu würden sie nicht einen kennen, der jemals von seiner Suche zurückgekommen sei', sind die letzten Worte der pelzigen Zwerge, bevor diese hurtig auf einen anderen Baum springen und schließlich ganz verschwunden sind. Inzwischen sind die Gefährten einiges an seltsamen Dingen gewohnt, sodass ihr Erstaunen über diese neue Begegnung nicht allzu groß ist. Während sie darauf weiterwandern, marschiert Ortrun mit bestimmtem Schritt voraus. Die große Schwester lässt dabei ihre rechte Hand fest am Knauf des Schwertes liegen. Auf diese Weise würde sie die Waffe jederzeit benutzen können, falls dies nötig sein sollte. Während die Gefährten den Morgen über ruhig dahinwandern, fällt dem Jungen erneut Feruns Traum der zurückliegenden Nacht ein. Dass sie den Drachen finden mussten, dies stand wohl außer Frage, was dann geschehen sollte, darauf wusste er im Moment allerdings keine Antwort. Als Teutebrand gelegentlich nach der kleinen Schwester an seiner Seite schaut, meint er an ihrem Blick erkennen zu können, dass es ihr scheinbar ganz ähnlich geht. Die Gefährten wandern immer noch durch eine Steppe, welche zunehmend trockener wird, während die ohnehin spärliche Vegetation am Wegesrand beständig abnimmt. Die Sonne hat den höchsten Punkt ihrer täglichen Bahn noch nicht erreicht und die Wanderer finden sich in einer heißen Sandwüste wieder. Auch die die letzten Wolken haben sich inzwischen verzogen, die am Vormittag noch am Himmel zu sehen waren. Gnadenlos brennt das Tagesgestirn nun von einem strahlend blauen Firmament herunter, gleichzeitig droht den Abenteurern allmählich das Wasser auszugehen. Selbst im Zurückblicken sind die letzten Sträucher der Steppe bald aus den Augen der Freunde entschwunden, ansonsten verbleibt ihnen ebenso kaum ein Anhaltspunkt, an dem sie sich in dem endlosen Meer aus Sand orientieren könnten. Einzig der Stand der grellen Sonne hilft den Gefährten weiterhin ihren Weg nach Osten zu finden, anstatt sinnlos im Kreis herumzulaufen oder sich in der Wüste gar völlig zu verirren. Früh am Nachmittag haben die Wanderer den letzten Wassertropfen in ihren Ziegenhäuten aufgebraucht. Längst schon spüren sie, wie ihre Münder von der unentrinnbaren Hitze trocken werden, ihr Verstand anfängt sich einzutrüben. Dies mag ein Grund dafür sein, wieso die Abenteurer nicht genau wissen, was sie davon halten sollen, als vor ihnen schemenhafte Bilder am Horizont auftauchen. An der schmalen Trennungslinie zwischen Erde und Luft ist plötzlich die undeutlich Silhouette eines Waldes zu erkennen. Vor der Kulisse des Waldrandes tauchen im wahrsten Sinne des Wortes, aus heiterem Himmel, zwei bewaffnete Heere auf. Unter den Truppen sind die Reiter, die Schwertträger und die Bogenschützen eindeutig an ihren glänzenden metallenen Rüstungen und an ihren Waffen auszumachen. Gerade reiten die Soldaten aufeinander zu, offensichtlich um sich gegenseitig anzugreifen. Als hätte sie ein plötzlicher Windstoß verweht, sind nur wenige Augenblicke später die Bilder schon wieder verschwunden. Die Gefährten sind indessen bereits viel zu schwach, um sich irgendwelche Gedanken über das gerade Geschehene zu machen. Lediglich kurz halten die drei an, da sie sich versichern wollen, dass sie sich nicht verlaufen haben. Im selben Momente wird die Silhouette des Waldes erneut am Horizont sichtbar. Dieses Mal sehen die Freunde eine größere Gruppe an Jägern mit ihren geschulterten Bögen vor den Bäumen entlangziehen. Die Hitze, die gleich einer Dunstglocke über der Wüste liegt und die Luft zum Flimmern bringt, trübt derweil stark die Sicht der Abenteurer. Obgleich die Entfernung zu dem Gehölz ziemlich beträchtlich ist, vermeinen die Wanderer dennoch den Zeremonienmeister mit seinem Falken in der Gruppe ausmachen zu können. Die Szene ist nur relativ kurz deutlich sichtbar am Horizont zu erkennen, darauf verblasst sie allmählich mehr und mehr vor den Augen der Freunde, bevor sie abrupt mit einem kleinen Sandsturm über der Wüste ganz zerstiebt. Dem Ende ihrer Kräfte nahe schleppen die Gefährten sich weiter durch die unerträgliche Hitze. Einzig die Hoffnung auf einen plötzlichen Regen, sowie der Wunsch die dringend nötige Erholung in der Kühle der bevorstehenden Nacht zu finden, treibt die Freunde jetzt noch vorwärts. In derartig schlechter körperlicher und seelischer Verfassung schenken die Wanderer dem Umstand wenig Beachtung, dass die Silhouette des Waldes ein weiteres Mal in ihrem Gesichtsfeld auftaucht. Gleichwohl meinen sie, die Bäume dieses Mal viel genauer sehen zu können als zuvor. Die Sonne ist derweil im Begriff hinter ihnen untergehen und tatsächlich kommen die Wanderer dem Waldrand näher und näher, ohne dass der Forst sich wie zuvor in nichts als Luft auflöst. Nicht lange hin und sie erreichen die ersten Bäume. Als wäre dies nicht der Wunder genug, entdecken die Gefährten am Saum des Waldes eine Lichtung, von der Musik zu ihnen herüber dringt. Offenbar findet auf der kleinen Wiese im Wald gerade eine Feier statt. Mitten auf dem Platz steht eine prachtvoll gedeckte Tafel, an der eine größere Anzahl an Leuten sitzt. Die festliche Gesellschaft, welche sich um den Tisch versammelt hat, unterhält sich ausgelassen und ist nebenher mit Essen und Trinken beschäftigt. Nichtsdestotrotz gehen die Freunde weiterhin davon aus, lediglich ein anderes Trugbild vor Augen zu haben. Erst nachdem sie von den Feiernden entgegen ihrer Erwartungen eingeladen werden, sich zu ihnen zu setzen, können die drei die Existenz der lustigen Runde nicht mehr länger leugnen. Mit knurrenden Mägen nehmen die Gefährten an dem Tisch Platz und essen sich zunächst einmal richtig satt. Sogar die Elster die den ganzen Tag im Schatten auf Schulter des Jungen verbracht hat, setzt sich auf den Tisch und pickt kleine Häppchen von Teutebrands Tellerrand. Da der Müllergeselle den Vogel kaum beachtet, wechselt dieser nach kurzer Zeit hinüber zu Ferun, welche ihm mehr Aufmerksamkeit schenkt. Nach ihrem anstrengenden Marsch durch die Wüste vom Nachmittag, bei dem ihnen obendrein das Wasser ausgegangen ist, stellt der Hunger indessen nicht das drängendste Problem der Gefährten dar. Wesentlich schlimmer quält die Freunde momentan der Durst. Selbstredend ist gleichermaßen bei dieser Frage an der Tafel auf das Vortrefflichste Vorsorge getroffen worden. Mehrere junge Mädchen umrunden ununterbrochen den Tisch mit großen Krügen und schenken den Feiernden hieraus unablässig einen dünnen, süßen, fruchtigen Saft in ihre Becher. Sehr bald stellen die beiden Schwestern fest, dass das wohlschmeckende Getränk zunehmend ihr Bewusstsein eintrübt. Durch den berauschenden Trank bekommen die Mädchen einen Schwips und sie beginnen ihre Umgebung durch eine Art von Nebel wahrzunehmen. Orutrun und Ferun spüren zugleich, dass ihre Glieder scheinbar immer schwerer werden und mit der Zeit alles um sie herum sich zu drehen beginnt. Sicherlich trägt die Musik mit Schuld daran, dass den Schwestern die Situation zunehmend zu entgleiten droht. Für die verführerischen Melodien die über der Lichtung schweben, sind zwei junge Frauen verantwortlich, welche dort am Rand unter den Bäumen sitzen und musizieren. Jedes der Mädchen hält in der Hand einen Gegenstand, der dem Deckel eines Früchtekorbes ähnlich sieht. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen etwas stärkeren Holzstock, welcher beinahe zu einem Kreis gebogen wurde und der mit zahlreichen nebeneinanderliegenden Schnüren bespannt ist. Beim Anblick der schlichten Instrumente würde es jedem schwer fallen daran zu glauben, dass man ihnen derart sphärisch klingende Melodien entlocken kann, einfach indem man mit der freien Hand an den einzelnen Saiten zupft. Verträumte, sehnsuchtsvolle Lieder, welche von den beiden Künstlerinnen leise dazu vorgetragen werden, begleiten das Instrumentenspiel. Gleichzeitig verstärken und unterstreichen sie die erzeugte Stimmung auf fast hypnotisierende Weise. Je später es wird, desto mehr geht den Gefährten jegliche Gewissheit verloren, bei ihren Erlebnissen zwischen Wirklichkeit und Illusion unterscheiden zu können. 'Ob das komplette momentane Geschehen gar nur ihrer eigenen Phantasie entspringen würde oder irgendwelchen Fieberträumen zu schulden wäre', fragen die Mädchen total verunsichert sich selbst. Im weiteren Verlauf der Feier stellen die Geschwister dann überrascht fest, dass Teutebrand offensichtlich das einzige männliche Wesen in der Runde ist. Dem Müllergesellen selbst bereitet diese Tatsache freilich keinerlei Schwierigkeiten. Peinlich berührt müssen die Schwestern dabei zuschauen, wie ihr Reisebegleiter die ganze Zeit über fröhlich mit den Mädchen und Frauen am Scherzen und Flachsen ist. Zwar ist das Verhalten des Jungen zum Teil sicherlich dem berauschenden Getränk geschuldet, zusätzlich animieren ihn die Feiernden sogar noch sichtlich zu seinem Tun. Ob diesem ungewöhnlich Verhalten für weibliche Wesen sind die Schwestern sprachlos. Eine wie die andere der Anwesenden rund um die Tafel herum scheint mit jedem ihrer Worte, jeder einzelnen Geste den jungen Wanderer umgarnen und bezirzen zu wollen. Dafür haben die Geschwister wirklich nur eine einzige Erklärung parat. Bei den Feiernden muss es sich eindeutig um Elfen handeln. Über diese von vielen oft und gerne herangezogenen Gestalten aus den alten Mythen ist bekannt, dass sie gerne danach trachten junge Männer zu verführen. Fürwahr verlockend mögen viele Geschichten aus dem geheimnisvollen Reich der Märchen und Sagen klingen. Den Hacken an der Sache, der hier ebenso wie bei anderen Dingen nahezu stets vorhanden ist, sollte man indes niemals außer Acht lassen. Wer dem Zauber dieser den Legenden entsprungenen Wesen erst einmal erliegt, den nehmen die Elfen mit in ihre Welt. Eine Chance auf eine Wiederkehr von dort gibt es für die Opfer allerdings so gut wie nie. Dies ist ebenfalls ein Grund, wieso Ferun befürchtet, dass sie ohne die Hilfe von Teutebrand den Drachen gewiss nicht finden werden. Derweil ist es nicht allein die Angst um ihr gemeinsames Vorhaben, die das junge Mädchen umtreibt. Jede Einzelne der Elfen ist hübscher, als jegliches andere Mädchen, das Ferun jemals zuvor kennengelernt hat, muss die kleine Schwester mit Sorgenfalten auf ihrer Stirn feststellen. Deutlich spürt das Mädchen, die Eifersucht an sich nagen. Teutebrand war ihr in den letzten Monaten sehr viel nähergekommen, als man es unbedingt erwarten würde oder sie es überhaupt für möglich gehalten hätte. Von ihrem Reisebegleiter fühlt die kleine Schwester sich in vielen Bereichen inzwischen besser verstanden, als sie dies jemals zuvor bei Ortrun ihrer engsten Freundin empfunden hatte. Die Geschwister müssen sich deshalb umgehend etwas einfallen lassen, sonst droht der Müllergeselle endgültig der Magie der Elfen zu erliegen. Für die beiden wird es eindeutig höchste Zeit zum Einschreiten, als die Elfen ihren Reisebegleiter zum Tanzen auffordern. Die Elfen halten sich hierzu gegenseitig an den Händen fest und schließen einen Ring um Teutebrand. Dieser soll währenddessen ganz alleine in ihrer Mitte tanzen. Von Zeit zu Zeit löst sich eine der Frauen aus der Kette um sich ebenfalls in den Kreis zu dem Jungen zu begeben. Die Elfe umschlingt daraufhin den Müllergesellen mit ihren Armen und beginnt ihn gleichzeitig kurz zu herzen, bevor sie unvermittelt in die Runde der übrigen Tanzenden zurückkehrt. In rhythmischen Schritten umrundet die Gruppe der Frauen den Jungen zunehmend geschwinder, gleich Furien treiben sie ihr Spiel immer wilder, sodass der Müllergeselle schon bald wie von Sinnen auf der Wiese umherwankt und ähnlich einem taumelnden Brummkreisel sich um sich selbst im Kreis dreht. Dies ist eindeutig zu viel des Spaßes, beschließt jetzt Ferun und erinnert sich endlich ihrer Magie. Längst hat sie festgestellt, dass sie nicht nur mit dem Wasser, sondern mindestens so gut mit den anderen Elementen zaubern kann. Mit Ortrun an ihrer Seite und der Elster auf ihrer Schulter beschwört die kleine Schwester die Winde, was weitaus besser funktioniert, als sie selbst gedacht hätte. Eine heftige Orkanböe fegt prompt und ohne jegliche vorherige Ankündigung durch die Lichtung. Jählings ergreift der Sturmwirbel die tanzenden Elfen und schleudert diese hoch in die Luft. Mit unfassbarer Leichtigkeit hat der Windstoß wenige Augenblicke später alles mit sich hinweggetragen, was sich gerade noch auf der Wiese am Waldrand befunden hatte, die Tanzenden und ebenso die Musikerinnen samt der festlich gedeckten Tafel. Wie sie vor der menschenleeren Lichtung stehen, als der Sturm sich gelegt hat, wollen dies die Geschwister beinahe nicht glauben. Alles hat der Sturm weggeweht, einzig der Müllergeselle ist auf seinem Hosenboden im Gras sitzend zurückgeblieben. Die Schwestern fühlen sich unvermeidlich an die gespenstische Erlebnisse vom Nachmittag erinnert, die verzerrten Bilder der kämpfenden Heere und der durch den Wald ziehenden Jäger, welche urplötzlich auftauchten und genauso unvermittelt wieder verschwunden waren. Teutebrand reibt sich derweil die Augen und macht einen Gesichtsausdruck, als ob er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht wäre. Tatsächlich hat Teutebrand keinerlei Erinnerung daran, was den Abend über passiert ist. Der Junge möchte sich daher an die Schwestern wenden, damit diese ihn über die Geschehnisse auf der Lichtung aufklären mögen. An den giftigen Blicken welche ihm die jüngere der beiden zuwirft, bemerkt der Müllergeselle indessen sofort, dass es im Moment wohl besser ist, ihnen keine Fragen zu stellen. Als der Junge sich soweit erholt hat, um wieder aufrecht auf seinen eigenen Füßen stehen können, ohne dass es ihm auf der Stelle erneut schwindelig wird, setzt sich immerhin die Elster zurück auf seine Schulter. Hingegen bleibt die Stimmung zwischen den Geschwistern und ihrem Reisebegleiter auch weiterhin ziemlich angespannt. Ferun hat offensichtlich beschlossen, für sein unangebrachtes vorhergehendes Verhalten habe Teutebrand eine kleine Strafe verdient. Indessen möchte ganz gewiss keiner von den dreien die Nacht auf der verwunschenen Lichtung verbringen. Trotz der späten Stunde gehen sie daher erst ein beträchtliches Stück den Wald entlang, bevor sie sich schließlich unter einem Baum zum Schlafen niederlegen. Wie die kleine Schwester früh am nächsten Morgen aus dem Schlaf erwacht, spürt sie umgehend einen unangenehmen Juckreiz im Gesicht. Zunächst wirft Ferun einen Blick zu Ortrun und Teutebrand an ihrer Seite. Zwar befinden die Gefährten sich noch im Reich der Träume, gleichwohl bemerkt die kleine Schwester, dass beide ganz rot an Stirn, Backen und der Nasen sind. Wenngleich das Mädchen sich nur bruchstückhaft an die Ereignisse des gestrigen Tages erinnern kann, so scheint der Sonnenbrand in ihren Gesichter immerhin unstrittig zu belegen, dass sie den vorherigen Nachtmittag in der Wüste verbracht haben. Die Bilder der sich bekriegenden Heere, von Radewald und den Jägern, den feiernden und tanzenden Elfen, einzelne Fetzen daran kommen langsam in Feruns Gedächtnis zurück. Fraglich bleibt dagegen, was davon wirklich geschehen sein mag. Da sie keinerlei Hunger oder Durst verspürt, bedeutet dies doch offenbar, dass die drei zweifellos auf der Feier der Elfen gewesen waren. Anderseits hatten sie sich Gestern vielleicht schlichtweg bloß in der Wüste verlaufen. Ihre heutigen Erinnerungen an den vergangenen Tag wären dann möglicherweise nur dem Hunger, dem Durst und der Hitze geschuldete Fieberphantasien. Woher kommen dann aber die Wasser mit gefüllten Ziegenhäute, welche bei ihren Bündeln liegen. Das Mädchen beschließt sowohl das brennende Gefühl im Gesicht, als auch die unbeantworteten Fragen zu den Ereignissen des vorherigen Tages, vorerst einfach zu ignorieren. Gleichen die letzteren Gedanken doch verdächtig denen an einen Traum, welche einem öfters am Morgen noch eine Zeit lang durch den Kopf geistern, vor allem wenn man eine lange Nacht mit unruhigem Schlaf zugebracht hat. Der nächste Blick der kleinen Schwester gilt daher dem Wetter und besonders ihrer Umgebung, wobei es allerdings nicht viel Neues zu entdecken gibt. Wenig nur hat sich hier geändert, seit sie der Höhle in Dunkelwelt entronnen sind. Nach wie vor ist der Himmel mit schweren, grauen Wolken verhangen und die Landschaft liegt wiederum weitestgehend gänzlich im undurchdringlichen Nebel verborgen. Sobald ihre beiden Gefährten schließlich munter werden, versucht Ferun mit ihnen über die gestrigen Ereignisse zu reden. Möglichst vorsichtig gilt es dieses Vorhaben anzugehen, um auf keinen Fall Teutebrands erschütterndes Verhalten vom Vorabend zur Sprache zu bringen. Schnell wird ihr dadurch klar, den vorausgegangenen Tag doch nicht einzig und allein geträumt zu haben. Nun sei es wie es sei, so war es jetzt eh nicht mehr zu ändern. Lanhein den Drachen zu finden, dabei würden diese Grübeleien wahrlich nicht helfen. Besser wäre es da alle Male, wenn sie sich unverzüglich wieder auf den Weg machen würden. Weit müssen die Abenteurer indes nicht wandern, binnen Kurzem haben sie das Ende des Waldes erreicht. Ein anderes der zahlreichen, unbenannten, ausgedehnten Moore von Schattenland erwartet die Wanderer dort. Lediglich einige spiegelnde, offene Wasserflächen erstrecken sich hier, zwischen der Einöde des Sumpfes und einer ansonsten nahezu vegetationslosen und konturlosen Landschaft. In dem vielfarbigen Grau von Wasser, Himmel und Land können die Gefährten nicht einmal einen Horizont auszumachen. Zähe Nebelschwaden verschlucken unweit von den Freunden bald jeglichen Unterschied in den Grautönen, bevor die schemenhaften Reste der Umgebung sich endgültig in einem monotonen, farblosen Nichts auflösen. Was jedoch sollte die drei jetzt noch erschrecken? Zumindest dies sehen die Gefährten genauso, selbst wenn sie ansonsten in der Ferne rein gar nichts mehr erkennen können. Nach ihren Erfahrungen der letzten Tage würden sie einen Stock gut gebrauchen können, um einen Pfad durch die unberechenbaren Tücken des Sumpfes zu finden. Am Waldrand schlägt Ortrun also sogleich mit ihrem Schwert eine etwas stärke Weidenrute ab, um sich sofort danach auf den Weg hinaus ins Moor zu machen. Entgegen aller Erwartungen kommen die Freunde eigentlich gut voran, selbst wenn sie bei jedem ihrer Schritte im Morast zu versinken drohen. Unheimlich und beklemmend drückt derweil der Himmel auf die Eintönigkeit des Sumpfes herunter, umgibt die Abenteurer mit nicht viel mehr denn feuchter, klammer Luft. Des Gleichen wird ein jedes Geräusch sogar das ihrer eigenen Schritte von dem bedrohlichen Nebeneinander aus Moor und Nebel verschlungen. Der einzige Sinnesreiz der den dreien in dieser endlosen Leere somit verbleibt, ist der bereits gewohnte modrige Geruch des Sumpfes. Diese süßliche, morbide Ausdünstung der Verwesung von im Verrotten begriffenen abgestorbenen Pflanzen und im Morast steckengebliebenen, verendeten Tieren wird allmählich mehr und mehr von einem scharfen und bitteren Gestank überlagert. Die Ursache für den üblen, ungewohnten Geruch wird den Abenteurern bald klar, und ganz nebenbei finden sie bei dieser Gelegenheit heraus, dass die Nebelwand nicht nur dem Wetter alleine geschuldet ist. Quer über die gesamte Ebene zieht sich ein Band aus dichtem, grauem Qualm, der aus dem Untergrund heraufsteigt und ihnen das Weiterkommen erschwert. Es wirkt geradeso, als würde ein Streifen des Moores in voller Breite brennen, selbst wenn nirgendwo irgendwelche Flammen zu entdecken sind. Wieder einmal wissen die Gefährten nicht genau, wie sie mit der Situation fertig werden sollen, deshalb verharren sie unentschlossen für einige Augenblicke. Nun gewiss muss es einen Pfad durch das Inferno geben und ohne weitere Zeit zu vergeuden nehmen sie die Suche danach auf. An mehreren flachen Gruben und Gräben an denen sie darauf vorbeikommen, können die Wanderer beobachten, dass das Moor unter der obersten Schicht aus Moder und Schlamm rötlich flackernd vor sich hin glimmt. Beißender, dunkler, beinahe schwarzer Rauch bildet sich dort und kleine Flammen züngeln ihnen in unregelmäßigen Abständen aus dem offensichtlich schwellenden Erdreich entgegen. Damit ihr Vorhaben so knapp vor dem Ziel nicht noch scheitert, werden sie wohl oder übel diese dem Feuer geschuldeten Schwaden aus Rauch und Dunst durchqueren müssen. An den allermeisten Orten ist indessen jeder Versuch den Qualm zu durchschreiten von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Gleichwohl gibt es einige wenige Stellen, an der die Wand aus Rauch durchaus überwindbar erscheint. Um die giftige Luft nicht einatmen müssen, nehmen die Freunde ein paar Tücher aus ihren geschulterten Bündeln. Hierauf tränken sie die Stoffstücke ordentlich mit Wasser aus ihren Trinkschläuchen. Die befeuchteten Tücher pressen sie sich anschließend fest gegen Mund und Nase. Derart gerüstet nehmen die Abenteurer den Kampf mit dem brennenden Moor auf. Trotz all ihrer Vorsichtsmaßnahmen tränen ihnen von dem tückischen Qualm bereits nach wenigen Schritten heftig die Augen. Fast meinen die Gefährten es nicht länger aushalten zu können, da wird der Rauch und Nebel um sie herum allmählich durchlässiger. Wie sich der Dunst dann nach und nach mehr lichtet, können die Gefährten die Silhouette eines großen Tieres vor sich ausmachen. Obwohl das Wesen ihnen seinen Rücken zuwendet, erkennt Ferun es sogleich wieder. Eindeutig handelt es sich dabei um den Drachen aus ihren Visionen, jenem Fabeltier welchem sie bereits gleich nach dem magischen Tor an dem unterirdischen Tümpel begegnet sind. Von Standpunkt der Gefährten aus gesehen, sitzt das riesige Wesen ungefähr in der selben Richtung, in der am Morgen die Sonne aufzugehen pflegt. Offensichtlich wurden die Abenteurer noch nicht bemerkt, denn der Drache singt auch weiterhin seine Lieder, ohne sich dabei von den dreien stören zu lassen. Fremdartig und monoton klingt Lanheins Gesang von den traurigen Resten eines betagten Gehölzes im Sumpf, neben welchem das Tier sitzt, zu den Freunden herüber. Die Freunde rechnen sich aus, recht einfach dorthin gelangen zu können, ohne dabei entdeckt zu werden, denn auch die Entfernung ist nicht mehr allzu weit. Daraufhin schleichen die Freunde sich auf Zehenspitzen vorsichtig zu dem knorrigen Geäst. Der Plan scheint zu gelingen. Die Wanderer erreichen den alten Baum und beratschlagen halb hinter dem knorrigen Geäst versteckt, was als Nächstes zu tun ist. Gleichwohl hat der Drache die Abenteurer schon lange hinter sich kommen gehört. Nun breitet sich ganz langsam ein sanftes Lächeln quer über Lanheins Gesicht aus. Hatten die drei doch tatsächlich den weiten, gefährlichen Weg von dem magischen Tor bis zur Mooreiche überwunden. Seit Langem war dies niemandem mehr gelungen. Jedoch um ehrlich zu sein, hätte der Drache von den Gefährten nicht wirklich etwas Anderes erwartet. Dies war ihm bereits in dem Moment klar gewesen, in welchem er die Freunde an dem See in der Grotte zum ersten Mal gesehen hatte. Die einzigen Zweifel die Lanhein bei ihrem ersten Zusammentreffen in der Höhle gehegt hat, betrafen die Zauberkunst der Gefährten. Wirklich überzeugt hatten sie ihn damals nicht, geradezu im Gegenteil, einfach lächerlich waren ihre Zaubertricks gewesen. In diesem Punkt hatte er sich offensichtlich geirrt. Wenigstens einer von den dreien musste ein Zauberkundiger von allerhöchstem Rang sein. Alleine schon der Umstand, dass die Abenteurer allen Gefahren in Umbrosia getrotzt haben und bis hierher zu dem alten Baum gelangt sind, stellt einen Beweis für diese Feststellung dar. Nach dem Wissen des Drachen gab oder gibt es für einen Zauberer nirgendwo eine Prüfung, welche noch schwieriger abzulegen ist; gewiss nicht im Schattenland und genauso wenig jenseits des magischen Tores. Lanhein wartet noch einige Augenblicke bis die Wanderer schließlich nahe genug gekommen waren und gleich neben der Mooreiche beieinanderstehen. Ganz gemächlich dreht er sich jetzt den Abenteurern zu, sodass er ihnen direkt in die Augen schauen kann. Wie die Gefährten indes feststellen, dass der Drache sie bemerkt hat, versuchen sie verunsichert sich hinter der Mooreiche zu verstecken. Bei dem dürren, alten, spärlich belaubten Baum gelingt ihnen dies eher schlecht denn recht. Trotz der vertrackten Situation verspürt Ferun kaum Angst, dafür sieht das große Tier schlicht und einfach zu friedlich aus. Dagegen wissen Teutebrand und Ortrun nicht so genau, was sie von ihrer momentanen Lage halten sollen. Die Elster ihrerseits bleibt vollkommen ruhig, gerade so als wäre ein Drache das Normalste der Welt. 'Töte den Drachen, töte den Drachen', flüstert jemand im selben Augenblick in Ortruns Ohren. Woher die Worte stammen, bleibt der großen Schwester allerdings verborgenen. Aber wie sich die Dinge manchmal treffen, genau denselben Gedanken hatte das Mädchen eigentlich ebenfalls gehabt. Ungestüm zieht die ältere der Geschwister nun das Schwert aus der Scheide. Derweil erkennt Ferun sofort, dass ihre Schwester im Moment gewiss nicht ganz bei Sinnen ist. Mit den Augen gibt sie Teutebrand einen Wink. Umgehend lässt der Junge den Holzstock in seinen Händen fallen und er stellt sich geschwind zwischen Ortrun und den Drachen. Nachdem er dem Mädchen das Schwert abgenommen hat, erscheint es fast so, als sei vorerst Schlimmeres verhindert worden. Freilich kaum hält der Müllergeselle die Waffe in der eigenen Hand, da vernimmt er gleichfalls eine unbekannte Stimme. Wieder und wieder fordert dieses unheimliche Raunen den Jungen auf, er solle den Drachen töten. Indessen dieses Mal war der versteckte Sprecher offensichtlich zu laut gewesen, denn ebenso Ferun und selbst der Drachen haben das Flüstern vernommen. Die kleine Schwester ist zuerst etwas verunsichert, fragend schaut sie zu Lanhein hinüber. Dieser weiß dagegen sofort was los ist und lässt sich von dem Schmierentheater nicht im Geringsten beeindrucken. 'Schon wieder die Trolle, geben diese Rabauken niemals Ruhe?', entfährt es mächtigen Wesen mit einem kleinen Seufzer. In aller Ruhe setzt sich das beeindruckende Tier daraufhin in Bewegung, um sich bedächtigen Schrittes hinüber zur Mooreiche zu begeben. An dem betagten Gehölze angekommen, schüttelt der Drache solange kräftig am Stamm des Baumes, bis schließlich Thor, Odin und Freya aus den Ästen purzeln. Vergleichbar mit den reifen, süßen Früchten eines Obstbaumes im Herbst fallen die Übeltäter auf den weichen Moorboden herunter. Die Gefährten reagieren reichlich überrascht, als sie die putzigen Kerlchen wiedererkennen, die ihnen da direkt vor die Füße kullern. Handelt es sich bei dem pelzigen Etwas doch tatsächlich um die selben merkwürdigen Gestalten, welche ihnen bei ihrer ersten Begegnung erzählt haben, wie furchtbar böse der Drache wäre. Nun dämmert den verdutzten Abenteurern ganz allmählich, was für ein perfides Spiel diese bösartigen Schurken mit dem Drachen treiben und Teutebrand lässt daraufhin endgültig das Schwert sinken. Im Gegensatz hierzu sitzen die Verschwörer ziemlich benommen auf der Erde und wissen nicht genau wie ihnen geschieht. Sehr bald sind sich Thor, Odin und Freya darin einig, dass es die beste Idee im Moment wohl ist, sich aus dem Staub zu machen. Die entlarvten Tunichtgute rappeln sich darauf hoch und türmen Hals über Kopf auf ihren viel zu groß geratenen Füßen in Richtung des Moores. Es dauert nicht allzu lange, bis die Trolle in der Wand aus Qualm und Rauch den Blicken der Freunde entschwunden sind. Ein zweiter Seufzer entweicht hierauf dem Maul des Drachens, in diesem Fall jedoch ein Seufzer der Erleichterung, können die Gefährten beruhigt feststellen. In zaahlreichen genau bedachten Worten schildert Lanhein den Freunden nun, wie die Trolle Balmung aus dem einzigen Grund heraus erschaffen haben, ihn damit zu töten. Mehr wollen die Abenteurer gar nicht wissen. Längst ist ihnen klar geworden, dass das Schwert endgültig den ihm bestimmten Platz erreicht hat. Gemäß der Sitte und dem Brauch der eigenen Väter und Urväter, soll die Waffe schleunigst im Moor versenkt werden. Balmung möge hoffentlich für alle kommenden Zeiten dort verbleiben, auf diese Weise würde niemand mehr irgendwelchen Unsinn mit dem Schwert anstellen können. Unverzüglich löst Ortrun mit fester Hand die Schwertscheide von ihrem Gürtel und Teutebrand steckt die Waffe in die Lederhülle, anschließend überreicht der Junge den Geschwistern Schwert samt Scheide. Feierlichen Schrittes tragen die Mädchen beides zu einem nahegelegen See im Moor. Der Müllergeselle und der Drache folgen den Schwestern derweil in gebührendem Abstand, wobei sich Teutebrand ziemlich eingeschüchtert fühlt. Das Wesen an seiner Seite ist dermaßen riesig, dass der Junge jedes Mal seine Mütze ein Stückchen in den Nacken schieben muss, damit er überhaupt den Kopf des Drachens in luftiger Höhe erblicken kann. Diese ständigen Störungen sind der Elster offenbar zu viel, deshalb gibt sie ihren bisher so ruhigen Sitzplatz auf und wechselt erneut hinüber auf die Schulter von Ferun. Mit ordentlich Schwung werfen die Schwestern die Waffe in den trüben See. Begleitet von einem lautstarken Plums, klatscht das Stück Eisen unter fontänenartigen, imposanten Spritzern auf das Wasser. Gleichwohl verspüren die Gefährten ein letztes Mal die Macht und die Magie des Schwertes. Geradezu wie wenn Balmung sich mit sämtlichen ihm zur Verfügung stehenden Kräften gegen das eigene Untergehen sträuben täte, derart erscheint es den Freunden. Eine immense Welle breitet sich in der Folge auf dem Gewässer in alle Richtungen aus, schlägt sodann heftig gegen die Ufer und lässt am Rand des Sees die Gischt gewaltig in die Höhe steigen. Während das Schwert allmählich in den Fluten versinkt, gelten Teutebrands Gedanken den beiden Seherinnen. `Ihre Aufgabe haben sie erfüllt, geradeso wie die alten Lieder es erzählen. Welche Auswirkung dies auf das Schicksal des Alten Volkes haben würde, sicherlich diese Ungewissheit blieb gleichwohl.' Ganz in sich selbst versunken sinniert der Müllergeselle vor sich hin, erst der folgende Warnruf der Elster holt ihn zurück in die Wirklichkeit. Er blickt auf und hoch am Himmel sieht der Junge zwischen den Wolken einen Falken kreisen. Nachdem das Schwert Balmung schlussendlich in den Tiefen des Moores von Umbrosia verschwunden ist, stellt sich für die Gefährten die Frage, wie sie zurück nach Hause kommen sollen. 'Er würde sie gerne zur Ibensul bringen, dies wäre gar kein Problem', verspricht Lanhein den dreien ohne großes Zögern. 'Nichtsdestoweniger müsse er die Freunde jetzt schon warnen, vor dem was sie bei ihrer Rückkehr vorfinden würden', fügt der Drache hinzu. ' Vieles in ihrer Welt habe sich in der Zeit ihrer Abwesenheit verändert. Sicher würden die Abenteurer meinen, lediglich vier oder vielleicht fünf Tage wären seit ihrem Aufbruch aus dem Sommercamp vergangen. Bereits in diesem Punkt würden sie sich irren, da ein Tag in Umbrosia viel mehr sieben Tagen ihres gewohnten Lebens entspräche.' 'Ebenso wüsste er sehr wohl, dass die Gefährten nicht ohne Grund in das Schattenland gekommen wären. In diesem Punkt müssten sie sich keine Sorgen machen. Falls ihre Reise nach Umbrosia in irgendeiner Art und Weise Auswirkungen auf die Vorgänge jenseits des magischen Tores genommen hätte, dann sei dies inzwischen alles geschehen und somit Teil der Vergangenheit. Nichts davon würde sich im Nachhinein mehr ändern lassen. Die Menschen würden derlei Dinge, die ihnen widerfahren und auf welche sie selber keinen Einfluss nehmen können, schlicht und einfach Schicksal nennen. Im Schattenland gebe es nichts, dass sich damit vergleichen ließe. Wahrscheinlich würden sie es nicht verstehen können, aber in Umbrosia wären Begriffe wie Zeit, Schicksal, Vergangenheit oder Zukunft vollkommen egal. Dies liege daran, dass jegliche Sache auf dieser Seite des magischen Tores keinerlei Gewicht besäße. In dieser Welt passiere es oft, dass sich die ein und dieselbe Handlung gleich morgen nochmals ereignen würde und dann vollkommen anders aussehen und ausgehen könne, als das letzte Mal. Bei ihnen dagegen könne Vergangenes und Geschehenes nicht mehr rückgängig gemacht werden. Er selbst würde nicht eine Macht kennen, welche hierfür stark genug wäre. Desgleichen würde nicht ein Zauber existieren, der die Zeit jenseits des magischen Tores zurückdrehen könnte.' Bei den letzten Worten Lanheins bemerken die Freunde, dass dessen Gesicht unvermittelt sehr nachdenklich wirkt. Nur allzu oft wurde der Drache von dieser tiefen Melancholie ergriffen, wenn er an die Welt dachte, aus der die Abenteurer stammen. Lanhein hatte sich schon ein manches Mal gefragt, ob er das Schattenland nicht verlassen sollte, um geradeso wie in den alten Tagen in der anderen Welt zu leben. Allerdings die alten Tage, die früheren Zeiten sie waren längst vergangen und die Zeit man konnte sie wirklich nicht zurückdrehen. ** Selbst viele kommende Generationen werden noch von den ungeheuerlichen Dingen erzählen, die sich in Abwesenheit der Gefährten in Ubil ereignet hatten. Begonnen haben die Vorgänge um das Unglück, von dem rückschauend zu reden ist, damit dass der Landvogt nach Feuchtau zur Unterstützung der Soldaten des Königs gerufen wurde. Mit Hilfe der Verstärkung hoffte der Königssohn aus Segmunda, endlich einen entscheidenden Sieg in dem Konflikt mit den Trebern zu erringen. Bereits in den Tagen zuvor war es zu einigen heftigen Gemetzeln zwischen den feindlichen Heeren gekommen, ohne dass hierdurch eine der Parteien die Oberhand erringen hätte können. Überhaupt waren die kriegerischen Auseinandersetzungen im Laufe der Zeit zunehmend unkoordinierter und kopfloser geworden. Die geheimnisvollen Bogenschützen, welche regelmäßig die Nachtlager der Truppen attackierten, sobald die Dunkelheit hereinbrach, mögen mit eine der Ursachen dafür gewesen sein. Natürlich meinte eine jede der beiden Kriegsparteien, das jeweils andere Heer wolle sie auf diese Art entmutigen und sie um die dringend nötige Erholung zwischen den Schlachten bringen. Wirklich geklärt werden konnte diese Frage allerdings nicht, schnell waren diese Vorfälle daher in den weiteren Kriegswirren untergegangen. Völlig willkürlich hatten sich die Kämpfe in den Tagen vor dem Unglück mehr und mehr in die Auen nahe dem großen Strom bei Feuchtau verlagert. Vor allem das weitläufige Mündungsdelta des Flusses, an dessen Oberlauf gleichfalls Fentovia liegt, hatte sich zu einem einzigen großen Schlachtfeld entwickelt. Das Unglück sollte sich hier an einem Ort ereignen, der bei ortskundigen Einheimischen unter der Bezeichnung Geistersee bekannt ist. Am Morgen des Tages vor den verhängnisvollen Ereignissen war der Landvogt mit dem größten Teil seiner Kämpfer in Fentovia aufgebrochen und den Fluss entlang marschiert. Den frischen Truppen machten bereits auf ihrem Anmarsch zum Ort der bevorstehenden Schlacht die ganze Zeit über heftige Regenfällen zu schaffen. Kurz bevor die Verstärkung sich gegen Mittag des darauffolgenden Tages mit dem Heer des Königssohnes zusammenschließen sollte, nahm das Unglück seinen Lauf. Gerade eben hatten sie Feuchtau hinter sich gelassen, da überraschte die Kolonne der marschierenden Männer eine mächtiger Wasserschwall, den in diesem Ausmaß sicherlich keiner erwartet hatte. Beinahe überfallartig schwoll der harmlose Wasserlauf binnen kürzester Frist an und wollte daraufhin für partout nicht mehr zurück in sein Flussbett weichen. Zahlreiche Soldaten wurden von der plötzlichen Flutwelle mitgerissen und entschwanden auf Nimmerwiedersehen. Dem Landvogt schwante indessen Böses, denn erst gegen Abend begann die Flut zu fallen. Trotzdem sah sich der Gesandte des Königs genötigt, an Ort und Stelle ein provisorisches Lager für die Nacht errichten zu lassen. Früh am nächsten Morgen brachen die Truppen erneut auf, und im Laufe des Vormittags kamen ihnen tatsächlich nach und nach einzelne Soldaten der Nachhut des königlichen Heeres entgegen. Erschreckend hörten sich deren Schilderungen der gestrigen Schlacht an. Die Berichte der Hand voll von Überlebenden unterschieden sich hierbei allerdings in den meisten Fällen erheblich. Zwar erzählten sie nahezu einstimmig von der Flutwelle, welche die Heere überrascht hatte, während die Kriegshandlungen im vollem Gang waren. 'Nur wenigen Soldaten sei die Flucht gelungen, der größte Teil beider Heere sei ertrunken', war dennoch das wenige Gemeinsame an allen Aussagen dieser vermeintlichen Augenzeugen. Der Verwalter des Königs trieb in der Folge seine Kämpfer umso mehr an, damit sie möglichst bald den Ort der Schlacht erreichen würden. Hoffnungslos dagegen waren alle Versuche sich mit irgendwelchen verbliebenen Truppen zusammenzuschließen. Reste des einst so gewaltigen Heeres konnten schlichtweg nirgendwo gefunden werden. Desgleichen konnte kein Schlachtfeld in den Auen vor Fentovia ausgemacht werden. Nicht die geringste Spur der Soldaten, geschweige denn ein Lebenszeichen der beiden Königssöhne, war im Mündungsdelta des Flusses zu entdecken. Hatte die versprengte Nachhut am Morgen noch von einem gigantische See berichtet, so hatte sich dieser in der Zwischenzeit offensichtlich in Luft aufgelöst. Kleinere Pfützen und einzelne Ausrüstungsgegenstände der Soldaten wurden entdeckt, jedoch nicht in dem Umfang wie es für solch ein furchtbares Unglück zu erwarten wäre. Gleichwohl konnte der Landvogt sich aus den verschiedenen Berichten und Fakten den ungefähren Hergang der gestrigen Schlacht zusammenreimen. Etwas anderes als sich auf den Weg nach Segmunda zu machen, würde ihm jetzt nicht übrigbleiben. Am Sitz des Königs angekommen, würde er dem Herrscher umgehend von den tragischen Ereignissen Meldung machen. Alleine beim Gedanken daran schnürte es dem Landvogt bereits die Kehle ab. Nein, freuen tat er sich nicht auf diese Aufgabe. Nichtsdestominder war dies das Einzige, das im Moment wohl gewiss war. ** 'Einen sehr beständigen, heißen Sommer hätten sie damals gehabt', wussten die Stämme des Alten Volkes später zu berichten. 'Obendrein wäre es ein äußerst trockenes Jahr gewesen, da die ganze Zeit über ungewöhnlich wenig Regen gefallen sei. Deutlich habe man dies bei der Ernte spüren können, obwohl man nicht von einem ausgesprochenen Dürrejahr reden musste. Erst um den neunten Neumond nach der großen Winter-Zeremonie habe ein kräftiger, langanhaltender Regen eingesetzt. Hierdurch sei es zu einem der schlimmsten Hochwasser gekommen, an welches sich die Menschen am großen Strom erinnern könnten.' 'Sowohl in Ubil und in Ephalu als auch in Kerusci habe die Flut schwere Verwüstungen hinterlassen, welche noch lange danach zu spüren waren. Allgemein wurden die Menschen zu sehr verwegenen Thesen verleitet, die ein derartiges Unglück erklären sollten. Dies und das musste aus diesem Grund als Ursache für die Naturkatastrophe herhalten. 'Drachen wären plötzlich aus den Flüssen aufgetaucht, ungefähr zur selben Zeit wie der heftige Regen einsetzte', versicherten glaubhaft zahlreiche Zeugen mit einwandfreiem Leumund in mehreren Orten. 'Mit ihren mächtigen Schwänzen hätten die Fabelwesen solange das Wasser aufgepeitscht, bis dieses wütend aufgeschäumt wäre, um anschließend als mächtige Flutwelle ins Tal zu stürzen.' Die Gerüchte von den Drachen verbreiteten sich in kürzester Zeit gleich einem Lauffeuer unter dem Alten Volk. Deshalb waren diese Geschichten in der Folge nicht mehr so einfach aus der Welt zu schaffen. Eine Begründung für das hartnäckige Überleben der Erzählungen über die Fabelwesen mag überdies sein, dass es entlang des großen Stromes während des Sommers zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen war. Erst als Anfang des Herbstes die Drachen aufgetaucht sind und es möglicherweise auch deshalb zu den großen Überschwemmungen gekommen war, seien die Kampfhandlungen zwischen den Königen aus Segmunda und dem der Treber eingestellt worden. Die Erinnerungen an diese Ereignisse gingen dem alten Volk gleichwohl im Laufe der Zeit nahezu vollkommen verloren. Jahrhunderte später hatte lediglich eine Legende überlebt, welche mit einer gewissen Bestimmtheit dem hier vorgetragenen Geschehen zugeordnet werden kann. Diese an den Lagerfeuern beliebte Geschichte erzählt von einem einfachen Mädchen, welches einem Königssohn versprochen war. In den stürmischen Zeiten eines Krieges habe das frisch verliebte Paar einen glücklichen Sommer meist gemeinsam verbracht, bis der Bräutigam kurz vor der geplanten Hochzeit in eine Schlacht ziehen musste und dabei nahe des Flusses ertrunken sein soll. Die Anwohner des großen Stromes zeigen noch heute gerne jedem Fremden die Stelle, an der sich dieses Unglück ereignet haben soll, sofern sich ein Reisender danach erkundigt. Nach wie vor soll man dort an bestimmten Tagen das Weinen des unglücklichen Mädchens hören können. Des Weiteren hat es sich in Murrtal und Fentovia selbst bis in unsere Tage erhalten, dass weiterhin gerne und oft Geschichten über Drachen erzählt werden. Seltsamerweise ist dies ansonsten nirgendwo in Ephalu oder Ubil der Fall. Für die Kinder in diesen beiden Städten sind dagegen Drachen etwas ganz Gewöhnliches. Unter ihnen ist dieses Wesen meist sogar beliebter wie Hunde und Katzen.