Kapitel 4 - Fentovia Zugleich drückte der Müller seinem Lehrling ein Halfter in die Hand. Der Junge lief hierauf, wie Friedenreich es ihm geheißen hatte, zu dem Brunnen über dem Haus. Der Lehrling vermutete, dass die Esel in der Nähe auf der Weide grasen würden. Teutebrand fand jedoch nur das jüngere der beiden Tiere, offenbar war der alte Graue wiederum zum Pflügen eingespannt. Der junge Esel sträubte sich kaum und wenige Augenblicke später war das Halfter angelegt. Der Junge brachte den Grauen sodann zur Rückseite des Hauses, wo er nach dem restlichen Arbeitsgeschirr schauen wollte. Genau wie zu Hause in Murrtal hing das Geschirr in der Scheune an der Wand. Der Lehrling nahm die Lederriemen herunter, um diese dem Tier anlegen zu können. Mit seinen fast drei Jahren war der Esel beinahe ausgewachsen und das Arbeitsgerät passte ihm ausgezeichnet. Der Wagen war nun schnell eingespannt. Gemächlich trottete das Zugtier hinter dem Jungen her, als dieser es hinunter zur Mühle führte. Teutebrand wurde schon ungeduldig unten an der Blockhütte erwartet. 'Er habe alles richtig gemacht', versicherte Friedenreich ihm dennoch unverzüglich. 'Sein Vater hätte ihm erzählt, dass er gut mit Tieren umgehen könne, also würde es wohl kaum Probleme mit dem Esel geben. Er hätte mit dem Tier bereits geübt den Karren zu ziehen, aber im Gewusel eines Markttages von Fentovia sei der Graue noch nie gewesen,' erklärte er des Weiteren, als sie zusammen in der hinteren Kammer nachschauten, was alles auf den Markt mitgenommen werden sollte. Außer Rangubalds Fellen und den Säcken mit Mehl war im Lager noch einiges Anderes zu finden, das der Müller in den vergangenen Wochen im Tausch für seine Dienste erhalten hatte und das nun sorgfältig im Lager aufgestapelt war. Mit Bedacht suchte der Müller die Waren heraus, die er für den Marktbesuch vorgesehen hatte, damit der Lehrling diese vor die Hütte tragen konnte. Gemeinsam beluden sie anschließend den Wagen. Die beiden verließen wenig später die Mühle und sie machten sich auf den Weg nach Fentovia. Es dauerte indes noch länger als Teutebrand gedacht hatte, bis sie den Ausgang des Tales erreicht hatten. Sie umfuhren nun das kleine Wäldchen, dann endlich konnten sie erstmals den Ort richtig vor sich liegen sehen. Die Stadt war von einer mehr als mannshohen Holzpalisade umgeben, direkt dahinter floss ein recht imposanter Fluss an der Siedlung vorbei. Sofort sprang einem der steinerne Turm neben dem Stadttor ins Auge, er sollte Fentovia ganz offensichtlich vor ungebetenen Besuchern bewahren. Talabwärts vor der befestigten Stadt war gleich zu Beginn des Jahres ein großes Zeltlager vorbereitet worden. Inzwischen lagerte dort der Landvogt des Königs mit seinen Männern. Immer mehr Soldaten waren in den vergangenen Wochen in Fentovia eingetroffen und das Camp war dadurch zusehends gewachsen. Jeden Tag nahm jetzt ebenso die Anzahl der mit Ochsen bespannten Karren zu, welche den Nachschub und gleichfalls neues Material in das Lager brachten. Vor Kurzem erst hatten die Truppen überdies begonnen, am Hang im Osten gegenüber der Stadt die Bäume zu fällen. Unterhalb des Waldes waren zur selben Zeit mehrere, größere Gruben für die Schmelzöfen ausgehoben worden, in denen zukünftig das Eisen hergestellt werden sollte. Andere Männer des Königs stapelten im Tal das Holz der geschlagenen Bäume gleich den Köhlern zu riesigen Meilern, um diese hiernach zu entzünden. Auf diese Weise wurde die Holzkohle für die zahlreichen Öfen und die neuerrichteten Schmieden erglüht. Die ersten Erzöfen zischten schon Tag und Nacht, besonders wenn der Wind entsprechend stand und in die Feuerlöcher hineinblies. Auf dem Lagerplatz des Heeres erklangen desgleichen bald die Schmiedehämmer von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Sie brennen also wieder die Feuer von Fentovia. Für ihre Schmiedekunst, die Erzeugung von Eisen, dafür war die Stadt seit Jahrhunderten berühmt, dies hatte ihr auch den Namen gegeben. 'Fentovia, die Stadt in der die Windöfen stehen.' 'Er täte die Stadt kaum wiedererkennen, seit dem Eintreffen der Truppen des Königs hätte sich so vieles verändert', meinte Friedenreich zu seinem Lehrling. Sicherlich trotz all der neuen Probleme, welche die Ankunft des Landvogts mit sich gebracht hatte, gab es den Markt immer noch. Vor dem Ort noch außerhalb der Palisaden priesen die Viehhändler ihre Tiere an. Am Tor kontrollierte ein Wächter die Leute, welche nach Fentovia hineinwollten. Die Stadtwache erkannte den Müller sofort und ohne Probleme konnten sie mit dem Wagen passieren. An der eigentlich geräumigen Straße hinauf zum zentralen Platz der Stadt waren rechts und links zahlreiche Stände aufgestellt. Die unterschiedlichsten Dinge wurden hier zum Verkauf angeboten. Genauso wurde auf dem großen Platz im Zentrum an mehreren Marktbuden lebhafter Handel betrieben. 'Heute wäre nur schwer ein Durchkommen zum Marktplatz von Fentovia zu finden, zu viele Verkaufsstände, Karren und Menschen würden den Weg dorthin versperren', gab Friedenreich zu bedenken. 'Da er den Weg kenne, wäre es auf alle Fälle besser, wenn er sich ab jetzt selbst um Esel und Wagen kümmern würde. Der Bäcker er habe seinen Laden im westlichen Teil der Stadt.' Unversehens übernahm der Müller von seinem Lehrling den Führstrick und er lenkte den Wagen in einen schmalen Weg der gleich nach dem Stadttor links von der Hauptstraße abbog. In der engen Seitengasse standen die Gebäude dicht aneinandergedrängt, doch waren hier erheblich weniger Leute unterwegs. Die Häuser in Ubil waren ganz anders gebaut, als Teutebrand es von zuhause kannte. Zwar war ein jedes Haus vom Grundriss her wesentlich kleiner als ihres in Murrtal oder auch das von Friedenreich, nahezu alle besaßen dafür zwei Stockwerke. Das komplette untere Geschoss wurde fast immer für einen Laden mit Werkstatt genutzt und meist war ebenso eine Kochstelle vorhanden. Ein oder zwei Stützen standen frei in der Mitte dieses einzigen, ebenerdigen Raumes. Die Stützen trugen einen langen Balken der das ganze Erdgeschoss überspannte. Darüber lagen wiederum Bretter, die den Boden des oberen Geschosses bildeten. Die Schlafkammern der Bewohner, welche sich hier oben unter dem Dach befanden, waren über eine schräge Leiter an der Seite der Werkstatt erreichbar. Viele der Waren und der Materialien für die Werkstatt wurden gleichfalls im oberen Stockwerk gelagert und gelangten im Allgemeinen über einen Seilzug außen an der Fassade des Hauses nach oben. Neben Bäcker, Fleischer und Läden die Früchte und Gemüse anboten, waren in diesem Teil der Stadt zudem die Schneider, Tuchmacher, Schuster und Korbflechter untergebracht. Der Bäcker wohin sie ihr Weg führte, hatte sie offenbar die Gasse heraufkommen gesehen. Sobald ihr Wagen vor dem Haus hielt, kam er aus der Backstube gesprungen. 'Das Mehl benötige er dringend und auch den Korb mit Eiern nehme er gerne, wenn sie nur frisch seien', begrüßte er die beiden. 'Die Eier hätten seine Frau gemeinsam mit den Töchter heute am frühen Morgen bei den Hühnern eingesammelt', erwiderte der Müller, so war der Handel schnell gemacht. Der Wagen hatte sich kräftig geleert, als sie letztlich wieder aufbrachen, nachdem sie zuvor dem Bäcker geholfen hatten, die Säcke mit dem Mehl im oberen Stockwerk zu verstauen. Auf dem Rückweg von der Bäckerei kamen sie in der Folge an den zentralen Platz Fentovias. Vor allem Schankstuben und Garküchen waren dort in den Läden im Erdgeschoss eingerichtet. Hinter diesen Gebäuden standen ganz schlichte, einfache Häuser, teilweise konnten sie sogar noch Blockhütten erblicken. Die Gassen im Norden der Stadt waren obendrein nochmals um einiges enger, kaum ein Karren konnte diese schmalen Durchgänge passieren. Gleich der Wache am Stadttor saßen Bettler an den Zugängen zu diesem Viertel der Tagelöhner und Mägde. Indessen wollten die beiden eigentlich Rangubalds Felle zu einem Gerber bringen, deren Quartier östlich des Marktplatzes zu suchen war. Entlang ihres Weges lagen die Werkstätten von Schreinern, Schmieden, Töpfern und Wagenbauern, direkt in deren Nähe waren die Unterkünfte von Stellmachern, Küfern und Sattlern angesiedelt. Ganz am Rande der Stadt bei der Palisade erreichten sie schließlich das gesuchte Haus, darüber hinaus residierten andere, vergleichsweise schmutzige Gewerbe in diesem Teil von Fentovia, wie etwa die Lumpensammler, die Köhler oder die Schlachter. Vor dem Laden des Gerbers angekommen, bemerkte der Müllerlehrling nahezu sofort eine solide Holztür auf dem Hinterhof, welche nach draußen führte. Durch das geöffnete Tor hindurch konnte Teutebrand hinaus zu dem Schlachtplatz des Ortes schauen. Nicht weit entfernt davon lagen außerhalb der Befestigungen von Fentovia die mit übelriechender Lohe gefüllten Becken der Gerber. Dicht dahinter stand ein niedriger Zaun, welcher den Platz zum vorbeifließenden Fluss hin begrenzte. Unmittelbar nach ihrer Ankunft inspizierte der Gerber erwartungsvoll die Ladung auf ihrem Wagen. Fünf große Hirschfelle hatten sie dabei, einiges mehr an Reh und Wildschwein, auch viele Felle von Ziegen und Schafen waren darunter. Der Lehrling freute sich allerdings am meisten über die rötlichen Fuchshäute, denn dies bedeutete, dass viele der Murrtaler Hühner die letzten Monate überlebt hatten. Auf dem Karren lag ebenso ein Stapel an ganz besonderen Pelzen. Diese Felle stammten von Hasen, Biber, Otter und Marder. Selbst die gestreifte Haut eines Dachses und desgleichen die eines Luchses hatten sich in das immense Bündel an Fellen verirrt. Das Luchsfell war indes augenscheinlich völlig zerrissen und reichlich durchlöchert. Als der Gerber das Pelzbündel sah, zog er die linke Augenbraue hoch, wobei er den Müller fragend anschaute. 'Ja, ja die Hunde, sie seien einfach ständig hungrig und er würde sie fast nicht satt bekommen', meinte Friedenreich daraufhin mit einem Lachen im Gesicht. Die überwiegende Anzahl der Pelze hatte er von einem ganz speziellen Kunden erhalten, der nicht gerade für den schönsten Hof im Tal berühmt war. Ein bekannter Trunkenbold war dieser Kerl, das wusste so ziemlich jeder, sogar jene welche ihn noch nie selber getroffen hatten. 'Nun als Kurzware für seine Kürschnerarbeiten werde er die Pelze wohl gebrauchen können', erwiderte der Gerber dem Müller nach einigem Zögern. 'Das eine oder andere Besatzstück und Posament werde sich gewiss daraus herstellen lassen. Natürlich müsse er dies aber beim Preis berücksichtigen.' Im Anschluss begleitete Friedenreich den Gerber in seine Werkstatt, weil dieser seinen Beutel mit Kupferstücken holen wollte. Unterdessen sollte der Lehrling draußen bei dem Karren verweilen, damit er nach dem Esel schauen konnte. In Fentovia wurden die Waren inzwischen oft mit barer Münze bezahlt. Der Herrscher im fernen Segmunda hatte dies vor einigen Jahren beschlossen. Seither zierte ein Abbild des Königs die neu eingeführten Kupferstücke, welche von den Leuten in Ubil meist Follis genannt wurden. Man konnte mit den Münzen allerdings fast nur in den Städten ohne nennenswerte Probleme bezahlen. Vor allem in den Dörfern fernab des großen Stromes überwog weiterhin der Tauschhandel, wenngleich sogar dort die ungewohnten Münzen vermehrt beliebter wurden. 'Die Geschäfte wären bisher gut gelaufen', freute der Müller sich, als er zum Karren zurück kam. Die beiden fuhren sodann mit dem Rest der Ladung zurück ins Zentrum der Stadt. Viel war nicht mehr übrig geblieben, das sie auf dem Markt verkaufen konnten. Zwei Bündel Wolle, ein dutzend Geweihe, ein paar Handbesen und einige Bürsten lagen noch hinten auf dem Wagen. Zwischenzeitlich war ein Standplatz nicht weit vom Stadttor entfernt frei geworden, dorthin stellten sie sich mit ihrem Karren. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Leute sich nach ihren Waren erkundigten. Die Wolle und die Geweihe waren am schnellsten verkauft, eine Magd und ein Tagelöhner aus dem Norden der Stadt hatten sie erstanden. Die Magd wollte abends in ihrer Kammer die Wolle spinnen. Der Tagelöhner erzählte ihnen, er schnitze Messergriffe und Knöpfe aus den Geweihen. Der Müller war desgleichen selbst schon auf dem Sprung. Er wollte auf dem Markt schauen, ob er dort möglicherweise etwas Brauchbares finden könnte. Teutebrand ließ er derweilen alleine am Stand zurück. 'Die Besen und Bürsten würde er bestimmt verkaufen können, ein halbes Kupferstück für einen Besen und ein viertel Kupferstück für die Bürsten wäre ein gutes Geschäft', erklärte er dem Lehrling, bereits im Gehen begriffen. Einige Zeit lang spazierte der Müller einfach bloß auf dem Markt herum, wobei er sich die verschiedensten Dinge anschaute. Manchmal bekundete Friedenreich zurückhaltend sein Interesse an einer Ware. Genauso oft fragte er nach, was etwas Bestimmtes kosten sollte, vorausgesetzt natürlich dass ihm die Sache gefiel. War der Müller dann weiterhin ernsthaft am Überlegen, die Ware wirklich kaufen zu wollen, verhandelte er zunächst einmal mit dem Standbesitzer über den Preis. Letztendlich erstand Friedenreich bei einem der fliegenden Händler eine silberne Fibel. 'Ein schönes Geschenk wäre dies, welches er seiner Frau Kunrada mitbringen könnte', dachte er sich, wie er einige der Münzen aus seinem prallgefüllten Beutel auf den mit einem dunklen Tuch bespannten Verkaufstisch zählte. Zurück an ihrem Marktstand war Teutebrand gerade dabei, den Esel mit ein paar Mohrrüben zu füttern. 'Er hätte rasch alle Waren verkauft gehabt', berichtete der Lehrling. 'Mit dem Standnachbarn habe er sich nebenher viel unterhalten. Dieser hätte den Esel aus seinem Eimer Wasser trinken lassen und bevor er schließlich gehen musste, habe er die Rüben dagelassen. Für den Kauf von zwei Handbesen hätte er den Leuten zusätzlich umsonst eine Bürste mitgegeben. Schnell habe sich dies auf dem Markt herumgesprochen und immer mehr Kunden wären gekommen. Insgesamt fünf und ein halbes Kupferstück für acht Handbesen und zehn Bürsten hätte er auf diese Weise erhalten.' 'Er dürfe die Kupferstücke gerne behalten', versicherte der Müller seinem Lehrling. 'Ein guter Tag sei es heute gewesen und ordentlich hätten sie an ihrem Handel verdient. Da sei es schlichtweg gerecht, wenn Teutebrand ebenso etwas davon abbekommen sollte, immerhin habe der Junge ihm die ganze Woche tüchtig geholfen.' Währenddessen war es reichlich spät am Nachmittag geworden und es wurde höchste Zeit, dass sie sich auf den Rückweg zur Wassermühle machten. Sogleich brachen sie eilig auf und bis sie letztlich die Wassermühle erreicht hatten, ging gerade die Sonne unter. Bevor die beiden nach der restlichen Familie in der Stube schauen gingen, verstauten sie den Karren samt Geschirr in der Scheune, anschließend entließen sie den Esel zurück auf die Weide. Allem Anschein nach war ihre Rückkehr bereits erwartet worden, denn Kunrada hatte drinnen im Haus ein Abendessen für sie vorbereitet. Die Schwestern hatten ihr dabei geholfen und warteten nun an dem gedeckten Tisch. 'Was er denn von der Stadt halte würde, da er doch vom Land komme?', versuchte Ortrun den Jungen aufzuziehen, geradewegs so wie es zu erwarten gewesen war. 'Ob ihm nicht ganz schwindelig im Kopf geworden wäre bei den vielen Leute, welche er sicherlich getroffen hätte. Daheim sei er bestimmt mehr die Gesellschaft von Katze und Hund, von Kuh und Ochs gewöhnt.' 'Sie würden in Murrtal kaum Kühe besitzen', antwortete der Junge ohne jeglichen Argwohn in der Stimme. 'Eigentlich würde sein Vater sowieso Ziegen und Schafe bevorzugen, wofür es genügend gute Gründe gäbe. In Fentovia seien sie heute den ganzen Tag über reichlich beschäftigt gewesen und die Leute dort wären durchweg freundlich zu ihm gewesen. Jedoch habe er von der Stadt selbst fast nur mitbekommen, was er im Vorbeigehen sehen konnte. Bei ihnen im Dorf würde kaum einer die Kleider anziehen wollen, die sie in Fentovia tragen würden, dafür wären diese meist zu unpraktisch. Diesen Unterschied zwischen der Stadt und seiner Heimat Murrtal würde es unbestreitbar geben. Ob nun aber das eine oder das andere das Bessere sei, das könne er nicht genau sagen.' Der Müller fand, dies wäre der passende Moment, um die silberne Fibel aus seinem Gewand hervorzuholen. Kunrada zeigte sich indessen vollkommen verblüfft, als Friedenreich seiner Ehefrau das Schmuckstück geben wollte, welches er am Nachmittag auf Markt erstanden hatte. 'Es müsse lange her sein, seit ihr der Ehemann das letzte Mal etwas von seinen Ausflügen mitgebracht habe', beklagte sie sich laut. 'Auf alle Fälle könne sie sich nicht mehr daran erinnern, wann dies eigentlich gewesen sein könnte.' Hierauf widersprach ihr der Ehemann heftig. Glücklicherweise fiel ihnen Ferun ins Wort, bevor aus der Unterhaltung möglicherweise ein handfester Streit hätte entstehen können. 'Sie besäße gerne so etwas Schönes wie diese Spange', ließ das Mädchen verlauten. Da war die Mutter plötzlich ganz milde gestimmt. Den gesamten, restlichen Abend über gab sie die Fibel wieder und wieder um den Tisch herum. Zudem ließ sie sich von jedem unentwegt versichern, was für ein tolles Geschenk dies sei. Es erweckte den deutlichen Eindruck, als ob es in Ubil endgültig Frühling werden sollte. Draußen wurde es beständig wärmer, die Sonne schien nahezu die gesamte Zeit über und die Tage wurden zunehmend länger. Teutebrand verbrachte diese Wochen fröhlich gestimmt bei der Arbeit in der Mühle. Abends allein in seiner Kammer übte er fleißig das Zaubern weiter. Bisweilen spürte er dabei abermals diese Energie durch seine Hände fließen. Es fühlte sich gleich Ameisen an, die erst seine Arme hinabliefen und sodann über seine Finger hinwegkletterten. Ein jedes Mal sobald er dieses Gefühl empfand, gelang auch der Trick. Auf diese Weise begriff der Junge allmählich, worauf es beim Zaubern ankam und er lernte diese Kraft zu kontrollieren. Er konnte den Kater nun verschwinden oder auftauchen lassen, ganz so wie er es wollte. Im Gegensatz dazu konnte der Vierbeiner diesen ständigen Experimenten wenig Erfreuliches abgewinnen, daher streifte das Tier fortan seltener durch die Stube. An manchen Abenden gar war sein vierbeiniger Mitbewohner überhaupt nicht mehr in der Kammer anzutreffen. Das hatte zur Folge, dass die Anzahl der Mäuse in der Blockhütte stetig mehr wurde und diese regelrecht auf dem Tisch tanzten. In seiner freien Zeit unternahm Teutebrand nebenher des Öfteren lange Spaziergänge in die Umgebung der Wassermühle. Jetzt im Frühjahr war alles am Ergrünen und im Wachsen begriffen. Der Junge hielt sich ebenso gerne am Mühlteich auf. An dem Gewässer fand er nicht selten den Vogel mit den langen Schwanzfedern vor, welchen Ortrun ihm gezeigt hatte. Entweder hockte der gefiederte Geselle dann auf dem Wehr oder er versteckte sich im Schilf am Ufer. Manchmal hatte der Müllerlehrling extra Getreidekörner von der Mühle dabei, die er der Elster anbieten wollte. Hierfür verteilte er die Körner nicht weit vom Wasser entfernt auf dem Boden und danach setzte er sich ganz ruhig daneben in die Wiese. Dennoch war der Vogel zuerst misstrauisch und er musterte den Jungen sehr genau, bevor er nach dem Futter pickte. Einige Tage hintereinander wiederholte der Müllerlehrling diesen Vorgang und stets brachte er eine kleinere Menge an Getreidekörnern mit. Das Tier fasste offenkundig ganz langsam Vertrauen zu dem Jungen und bald schon konnte er den gefiederten Gesellen mit der Hand füttern. Tatsächlich kam die Elster irgendwann von ganz alleine zu dem Jungen geflogen, nachdem ihre sämtlichen Bedenken scheinbar zerstreut waren. Dies war von da an öfters der Fall, sobald der Müllerlehrling sich nur dem Teich näherte. Sie setzte sich dann auf seine Schulter und sie forderte ihre Körner ein, indem sie Teutebrand ganz vorsichtig ins Ohr pickte. Mit viel Geduld war es schlussendlich soweit, dass der Vogel sich auf seine Schulter, seinen Arm oder auf den Kopf setzte und er gemeinsam mit dem Jungen spazieren gehen konnte. Ab und an, vor allem wenn sein gefiederter Freund nicht zu entdecken war, saß der Müllerlehrling einfach in Gedanken versunken am Ufer des Mühlteiches. Ephalu, Murrtal, Rangubald und Brungard kamen ihm in solchen Momenten alsbald in den Sinn. Die nicht besonders bedeutenden Dinge des Alltags im Dorf fielen ihm erneut ein, etwa das tägliche Wasserholen am Wasserfall mit den Frauen des Dorfes oder das unbeschwerte Spiel mit den anderen Jungen und Mädchen unten am Teich. Eines Nachmittags beobachtete der Müllerlehrling die kleine Schwester ein weiteres Mal, wie sie die Wellen auf dem Wasser spielen ließ. Mehr und mehr war der Junge überzeugt davon, dass sie gleich ihm selbst, ebenso eine Art von Magie beherrschen musste. Offensichtlich hatte das Mädchen Teutebrand längst entdeckt, denn in diesem Moment drehte sie sich gemächlich zu dem Jungen um. 'Er solle sich ein wenig zu ihr setzen', hieß Ferun den Jungen. Die jüngere der Geschwister war fast genau so alt wie Teutebrand. Das Mädchen wirkte zwar sehr selbstbewusst, trotzdem war es nicht übermäßig egoistisch, sondern eher der ausgleichende Teil des Geschwisterpaares. Sie schien stets für alle und jeden ein Ohr übrig zu haben. Zuhause in Murrtal hatte er bisher kein Mädchen gekannt, welches Ferun glich. Ortrun die ältere Schwester war da ganz anders, diese war oft unbeherrscht und gleichzeitig aufbrausend, wenn einmal etwas nicht nach ihrer Nase verlief. 'Ob es ihm bei ihnen gefalle?', fragt das Mädchen Teutebrand, nachdem sie eine Welle ruhig am Teich beieinander gesessen sind. 'Der Hof von Friedenreich würde sich nicht sehr von seinem eigenen Zuhause unterscheiden, genau wie in der Wassermühle gäbe es in Murrtal fortlaufend etwas zu tun', antwortet der Junge ohne vorher viel darüber nachzudenken. 'Wenn er in Murrtal mal nicht mit der Mutter oder dem Vater im Haus, im Wald oder auf den Feldern beschäftigt wäre, dann gäbe es da immer noch die anderen Jungen und Mädchen des Dorfes, mit denen er alles Mögliche anstellen könnte. Meist ginge es dabei recht lustig zu.' 'Dafür habe er ja jetzt Ortrun und sie', erwidert Ferun hierauf. 'Sie hätte auch eine Freundin, die wohne in einem der Häuser weiter unten im Tal, dort würde es desgleichen noch einige weitere Jugendliche in ihrem Alter geben. Oft würden sie sich indes nicht treffen. Ab und an müssten die Geschwister zu den anderen Höfe gehen, um für die Eltern gewisse Dinge zu erledigen. Genauso käme manchmal einer der Gleichaltrigen hoch zu Mühle mit, wenn das Korn gemahlen werden musste. Auf alle Fälle würden sie sich aber treffen, falls auf einem der Höfe eine Feier stattfinden täte.' Anschließend verweilten die beiden noch einige Zeit am Teich, ohne dass sie viel zu reden gewusst hätten. Teutebrand traute sich einfach nicht zu fragen, ob sie wirklich zaubern könnte. Deshalb konnte ihm das Mädchen nicht bestätigen, was er zuvor beobachtet hatte. Irgendwann wollte Ferun letztlich gehen, sie musste ihrer Mutter noch im Haus helfen. Wenige Tage später kam völlig überraschend der Zeremonienmeister mit seinem Falken auf der Schulter zu Besuch. Gegen Mittag war er plötzlich aufgetaucht, während Friedenreich mit Ortrun an der Mühle beschäftigt gewesen war und Teutebrand wie meist das Wehr bedient hatte. Radewald war soeben dabei sein Zelt aufzuschlagen, da sah es zunehmend danach aus, dass es am Nachmittag zu regnen anfangen würde. Daraufhin fasste der alte Meister beim Mahlen des Getreides kräftig mit an, auf diese Weise sollte die Arbeit schneller vonstattengehen. Es wurde beinahe Abend, bis Teutebrand mit dem Zeremonienmeister zufällig alleine in der Kammer verweilte und so die Gelegenheit für ein Gespräch fand. Radewald war auf dem Weg zur Wassermühle in Murrtal gewesen und hatte dem Jungen Grüße von zuhause auszurichten. Der Müllerlehrling möchte dem Zeremonienmeister seinerseits unbedingt erzählen, was für Fortschritte er beim Zaubern gemacht hat. 'Etwas mit Hilfe des Zauberstabes verschwinden zu lassen, dies sei für ihn nun kein Problem mehr.' 'Den kleinen schwarzen Stab würde man ihn wirklich für jeglichen Zaubertrick benötigen?', erkundigt der Junge sich von Zauberer zu Zauberer hieraufhin bei dem alten Meister. 'Eigentlich könnte man den Stab beim Zaubern entbehren', antwortet Radewald. 'Es sähe aber wesentlich eleganter aus, wenn man den Zauberstab verwenden täte. Indem man das eigentlich relativ unscheinbare Werkzeug benütze, könne man überdies deutlich präziser zaubern, da durch dieses unscheinbare Hilfsmittel nahezu jede Art von Zauber besser zu kontrollieren sei. Habe man dementgegen erst einmal gelernt die Energie zu beherrschen, welche in der Tat den Zauber bewirke, reichten im Prinzip die nackten Hände zum Zaubern aus. Anderseits gäbe es durchaus Zauberer, die mit einem richtig großen Stock zauberten, indes würde es sich dabei meist bloß um Angeber handeln. Gleichwohl könne die Energie zweifellos dermaßen stark sein, dass der Zauberstab in der Hand zu brennen anfangen würde oder gar explodieren täte.' 'Vor Jahrzehnten habe er einst eine Magierin gekannt, die ausschließlich mit dem Stock gezaubert hätte', erzählt der Zeremonienmeister weiter. 'Dann hätte anscheinend aber ihr Kopf ein bisschen verrückt gespielt. Zuallererst habe sie nur den Stock gegen einen Besen getauscht. Danach habe es nicht mehr lange gedauert, bis sie damit angefangen hätte, auf dem Besen sitzend umher zu fliegen, geradeso wie die Vögel es täten. Zusammen mit einem schwarzen Raben, welcher ihr ständiger Begleiter war, hätte sie hierbei die Lüfte über den Dörfern und Städten unsicher gemacht. Das Vieh auf der Weide hätte sie erschreckt und außerdem allerlei anderen Schabernack mit den Leuten getrieben.' 'Zumindest wisse er seitdem, was es bedeute, wenn die Leute behaupten würden, dass jemand einen Vogel hätte', fügt der Zeremonienmeister mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. Im Anschluss daran zeigt Radewald dem Jungen einen neuen Zaubertrick. Er lässt den Tisch durch die Kammer schweben, indem er mit dem Zauberstab schlicht auf das Möbel deutet und dazu den Zauberspruch murmelt: "Hokuspokus wie der Wind, fliege Tisch geschwind." Egal in welche Richtung der alte Mann den Stab nun bewegt, unverzüglich folgt der in der Luft schwebende Tisch ebenfalls dieser Bewegung. Darauf führt er Teutebrand vor, dass er das Möbelstück sogar ohne Stab schweben lassen kann, wobei er lediglich die gespreizten Finger beider Hände benützt. Während Radewald jetzt den Tisch fliegen lässt, stößt dieser im Gegensatz zu vorhin ständig überall dagegen. In diesem Augenblick klopft allerdings jemand gegen die Stubentür und der alte Meister muss seine Zauberversuche umgehend beenden. Prompt platzt Ortrun in die Blockhütte herein. Kunrada hatte das Mädchen geschickt, sie sollte die beiden zum Abendessen abholen. Teutebrand fiel sofort auf, dass die ältere der Schwestern sich heute ihm gegenüber gar nicht derart schnippisch zeigte, wie es sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Angewohnheit war. Möglicherweise konnte dies an der Gegenwart des Zeremonienmeisters liegen. Vielleicht war auch ein anderer Umstand schuld daran, nämlich dass sie für sich alleine war, ganz ohne ihre Schwester oder die Familie. In der Stube angekommen, überreichte Radewald der Frau des Müllers sogleich ein Töpfchen mit Salbe. Brungard hatte ihm die Medizin bei seinem vorhergehenden Besuch in Murrtal mitgegeben. Kunrada würde von Zeit zu Zeit in ihren Beinen stark Schmerzen spüren, hatte die Brunnenwächterin gehörte. Diese Mischung aus unterschiedlichen Kräutern könnte gewiss dagegen helfen. Normalerweise vermied der Zeremonienmeister diese Botendienste, wann immer es möglich war. 'Sein Esel könnte nicht alles tragen', dieser schlichte Hinweis genügte meist, dass die Leute ein Einsehen hatten, im Besonderen wenn es sich um größere Dinge handelte. Manchmal war solch eine Gefälligkeit indes auf Grund ganz bestimmter Umstände einfach nicht zu vermeiden. Nach dem Essen unternahm Radewald mit dem Müller einen gemeinsamen Spaziergang, der Regen hatte sich vor Längerem bereits verzogen. 'Eine Menge an unerwarteten Ereignissen würde zur Zeit geschehen und es gäbe viel zu tun', eröffnete der Zeremonienmeister das Gespräch. 'Morgen müsste er auch schon wieder abreisen, davor jedoch noch dringend mit Friedenreich reden.' 'Der Krieg, er sei schlimmer geworden. Etliche Dörfer hätten in den letzten Tagen gebrannt, nicht in Sagumbra, Usipata oder Ubil, dafür in den Ländereien des Königs. Der Widerschein des Feuers von den brennenden Weilern sei selbst diesseits des großen Stromes zu sehen gewesen. Diese Geschehnisse hätten große Ängste und Sorgen bei den Menschen geweckt.' Der Zeremonienmeister erzählte dem Müller gleichfalls von einem geplanten Geheimtreffen der Führer des Alten Volkes, welches in wenigen Wochen in Murrtal stattfinden sollte. 'Auf die außerordentliche Zusammenkunft würden vor allem die Weisen und Alten aus Sagumbra und Usipata drängen', erklärte Radewald des Weiteren. 'Wegen der sich verschärfenden Kriegslage am großen Strom wollten die Anführer darüber reden, welche gemeinsame Maßnahmen diese Situation nötig machen würde. Außerdem wäre zu beraten, was unter diesen Vorzeichen mit der alljährlichen Sonnen-Feier geschehen sollte. Friedenreich würde in Murrtal das Land Ubil vertreten, neben ihm sei noch der Runenmeister von Feuchtau hierzu ausgewählt worden.' Feuchtau war eine weiter unten am Fluss gelegene Stadt in Ubil. Feuchtau war zwar sicherlich nicht so bekannt und beeindruckend wie Fentovia, die zwei Städte waren indessen die einzigen wirklich großen und bedeutenden Siedlungen in Ubil und stets hatten sie gute Beziehungen untereinander gepflegt. Sogar Fentovia konnte nicht an die mächtigen Städte in Sagumbra und Usipata heranreichen, aber es wurde von diesen einflussreichen Siedlungen am großen Strom zumindest zur Kenntnis genommen und überaus geachtet. Umgehend versprach der Müller, er würde selbstredend auf dem Treffen erscheinen und so waren die zwei Männer sich schnell einig. Von daher gab es für den Zeremonienmeister wenig Gründe noch länger bei Friedenreich zu verweilen. Teutebrand traf am nächsten Morgen entgegen seiner Erwartungen Radewald nicht mehr bei der Wassermühle an, da der alte Meister gleich in aller Frühe nach Feuchtau abgereist war. Den neuen Zaubertrick mit dem Tisch, den musste er jetzt natürlich trotzdem ausprobieren. Nach einigen anfänglichen Fehlversuchen gelang es ihm relativ rasch und ohne nennenswerte Probleme den Tisch fliegen zu lassen. Von diesem Erfolg ermutigt, wollte Teutebrand es Ferun nachtun und am Teich versuchen, mit den Wellen auf dem Wasser zu spielen. Obwohl er hierbei spürte, dass die magische Energie seine Arme durchfloss, rührte sich ansonsten überhaupt nichts. Die Wasseroberfläche verharrte in völliger Ruhe und erweckte beinahe den Eindruck eines Spiegels. Eine Ente, welche im Mühlteich schwamm, erst verschwinden und dann wieder auftauchen zu lassen, ja das konnte er. Einen Stein der am Ufer lag, und dBrauchbareser fast die Größe eines Mühlsteins hatte, zum Fliegen zu bringen, sicher selbst das hatte er schnell gelernt. Den Stein wieder und wieder in der Mitte des Teiches auf und ab zu schleudern, bald beherrschte er sogar dies. Allerdings ähnlich wie Ferun es konnte, die Wellen dazu zu bewegen, nach seinem Willen über den Teich zu laufen, dies wollte ihm einfach nicht gelingen. Die folgende Woche brachte kaum Aufregendes, die Tage nahmen ihren inzwischen gewohnten Gang und die Arbeit an der Mühle ging nie aus. In seiner freien Zeit streunte Teutebrand bei seinen Spaziergängen nun immer öfters und weiter in der Umgebung umher. Das eine oder andere Mal begleitete sogar Ferun oder Ortrun den Jungen auf diesen Streifzügen. Nach und nach lernte der Müllerlehrling auf diese Weise die anderen Höfe des Tales kennen. Falls Teutebrand alleine unterwegs war, saß oft die Elster auf seiner Schulter. Der Junge konnte sich im Voraus jedoch nie sicher sein, ob der Vogel mit ihm kommen wollte. Nahezu vier Wochen sollte es dauern, bis der Müllerlehrling erneut nach Fentovia kam. Kunrada hatte ihre Töchter geheißen, sie sollten sich am Markttag einen Stoff für ein neues Kleid suchen gehen. 'Ob er mit ihnen in die Stadt kommen wolle', hatte Ferun den Lehrling gefragt. Sicherlich wollte Teutebrand die Schwestern begleiten, schon bei dem ersten Besuch hatte Fentovia sein Interesse geweckt. Vielleicht würde er dieses Mal mehr von der Siedlung zu sehen bekommen. Der Ort war, gerade so wie man es hätte erwarten können, wegen des Markttages völlig überlaufen. Die Masse der Menschen erschien Teutebrand unüberschaubar, die Leute füllten die Straße bis hinauf ins Zentrum und ebenso den dortigen Marktplatz. Ferun und Ortrun nahmen sich jede Menge Zeit für ihre Suche nach einem passend Kleiderstoff. Ein manches Mal musste ein Marktstand überhaupt keine Schneiderwaren in Angebot führen, damit die Geschwister dennoch stehenblieben und die Auslage ausführlich unter die Lupe nahmen. Kein Argument und erst recht kein Nörgeln das der Junge vorbrachte, half die Schwestern zum Weitergehen zu überreden. Bald befürchtete Teutebrand, es werde wohl den ganzen Tag dauern, bis die Mädchen sich endgültig für etwas entscheiden würden. Obwohl er eigentlich nichts benötigte, schaute der Junge ab und an ebenfalls, ob an einem der Stände etwas Nützliches zu finden war. Schnell stellte er indessen fest, für seine fünf und ein halbes Kupferstück wurde auf dem Markt nicht allzu viel angeboten, dass er gebrauchen konnte. Für eine entsprechend große Bahn Stoff, aus der man ein Kleid schneidern könnte, dafür würden seine Münzen vielleicht ausreichen. Natürlich vorausgesetzt, er würde den Preis beim Kauf gut verhandeln. Nach dem Besuch unzähliger Marktstände langweilte der Junge sich bereits erheblich, was dazu führte, dass er nicht mehr so richtig bei der Sache war. An einem Verkaufstresen an dem gefangene Kaninchen lebend zum Verkauf angeboten wurden, beobachtete er ein ganzes Rudel Hunde, welches sich gleich daneben raufte. Auf Wunsch der Kunden wurden die Langohren noch am Marktstand geschlachtet und selbstverständlich blieb da so einiges für die kläffende Meute übrig. Als der Junge wieder aufschaute, waren die Schwestern plötzlich verschwunden. Der kurze Moment in dem er abgelenkt war, hatte in dem Gedränge all der Menschen um in herum offenbar ausgereicht, die beiden aus den Augen zu verlieren. So sehr er die Mädchen danach suchte, er konnte sie nirgendwo mehr entdecken. Wahrscheinlich waren sie in den Westen der Stadt gegangen, weil sie in den verschiedenen Schneidereien dieses Stadtteiles nach einem passenden Stoff für die Kleider stöbern wollten. Also begab der Junge sich ebenfalls dorthin, da er hoffte sie irgendwann in den Gassen zu treffen. Er konnte die beiden jedoch nirgendwo finden, diesen Weg hatte er sich wohl umsonst gemacht. Alleine zurückgeblieben, desgleichen ein bisschen beunruhigt über das Verschwinden der Mädchen, streifte Teutebrand daraufhin in Fentovia umher. Schließlich gelangte der Junge in das Viertel im Norden der Stadt, in welchem die einfachen Leute wohnten. Gerade wollte er durch einen der engen Durchgänge hinüber zum Marktplatz gehen, da sprach ihn plötzlich ein Bettler an. 'Ob er Vergnügungen suchen würde?', wurde er von dem älteren Mann gefragt, der reichlich verschlissene Kleidung trug und auch sonst ziemlich ungepflegt erschien. 'Er kenne einen Platz in der Stadt, an dem nahezu ununterbrochen getanzt würde. Die Mädchen an diesem Ort würden gewiss mit ihm scherzen wollen. Es seien durchweg nette, hübsche Mädchen und lustig wären sie die ganze Zeit. Obendrein sei das einzige Wort, welches sie nicht kennen würden, dies wäre 'Nein' zu sagen.' Im selben Moment sah Teutebrand, wie Ferun und Ortrun aus der Gasse kamen, welche zur Gerberei führte. Hierauf ließ er den seltsamen Mann einfach stehen und er lief stattdessen zu den Schwestern hinüber. Erleichtert von seinen vorhergehenden Zweifeln, begrüßte der Junge die Geschwister umgehend herzlich. Man konnte ihm in diesem Augenblick regelrecht ansehen, wie froh er war, sie wiedergefunden zu haben. Die Mädchen reagierten freilich ganz anders, als der Müllerlehrling erwartet hätte. Fast erschien es ihm, als ob die Schwestern etwas vor ihm verstecken wollten. 'Stoff für die Kleider hätten sie gefunden', meinte Ortrun dann lediglich zu ihm. 'Alles andere das sie in Fentovia zu tun hätten, wäre gleichfalls erledigt. Sie könnten nun ruhig wieder zurück zur Wassermühle gehen.' Ohne sich vorher nochmals an irgendeinem Stand umzuschauen, verließen die drei schließlich den Markt.