Kapitel 8 - Dunkelwelt Hinter dem geöffneten Tor hinunter nach Dunkelwelt wartet bereits ein schmaler, düsterer Pfad auf die Gefährten. Lange zögern die Freunde die geheimnisvolle Höhle zu betreten. Keinem der dreien ist ganz geheuer bei dem Gedanken daran, was sie in der Finsternis jenseits der Tür erwarten mag. Einfach umdrehen konnten sie jetzt nicht mehr, nachdem sie sich dafür entschieden haben, das Abenteuer auf sich nehmen zu wollen. Die Elster stört dies alles hingegen wenig, sie bleibt wie gewöhnlich ruhig auf Teutebrands Schulter sitzen. Anders sieht es gleichwohl mit dem Esel aus. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften sträubt sich das Tier, den Anderen zu folgen. Mit Streicheln und Zerren versucht Ferun den Grauen zu überreden, der verharrt indessen unbeeindruckt an Ort und Stelle. Allmählich wird den Gefährten klar, dass nichts und niemand den Esel überzeugen wird, ihnen in die unbekannte, unheilverkündende Düsternis zu folgen. Notgedrungen laden sie deshalb das Gepäck von ihrem Tragetier ab. Kaum von seiner Last befreit, dreht sich der Graue um und läuft schnurstracks aus der Schlucht hinaus zur Weide zurück. Jedem der drei Freunde ist anzusehen, dass sie es ihrem vierbeinigen Kameraden am liebsten gleichtun wollten. Teutebrand muss unwillkürlich an seine letzten Gespräche mit dem Zeremonienmeister und den Seherinnen denken. Vertrauen diese denn nicht darauf, dass sie nach Umbrosia gelangten? Sollte ein störrischer Esel sie etwa von ihrem Plan abhalten? Glücklicherweise haben nur sie wenige Dinge mitgenommen, die sie nun Wohl oder Übel selber tragen müssen. Zuerst einmal müssen sie die Sachen allerdings umpacken, um diese auf dem eigenen Rücken schultern zu können. Mit Hilfe der Tücher, in welchen ihre Habseligkeiten am Esel befestigt waren, ist dies schnell geschehen. Entschlossen durchschreiten die Abenteurer hierauf letztlich das Tor. Viel hilft es sicherlich nicht, sie zu ermutigen, als das Dornengebüsch direkt hinter ihnen gleich wieder zuwächst. Kurze Zeit später hat das dornige Dickicht die zerbrochenen Tür derart dicht überwuchert, dass von draußen fast gar kein Licht mehr hereindringt. Für die drei Freunde scheint eine Umkehr nun endgültig unmöglich zu sein. Im schummerigen Zwielicht erkennen die Gefährten einen schmalen Weg, welchem sie jetzt in die vor ihnen liegende Ungewissheit folgen. Der verbleibende spärliche Rest des Tageslichtes wirft gespenstische Schatten auf die Wände der Höhle, vermittelt den dreien ein ungutes Gefühl. Überall in der sie umgebenden Dunkelheit scheinen unheimliche Wesen zu lauern, geradewegs so wirkt es auf die Freunde. Oft bergen daneben feuchte, klitschige Stellen, die im Vorhinein kaum zu erkennen sind, die Gefahr auf dem fast nicht mehr zu erahnenden Weg auszurutschen. Immer tiefer, weiter in den Berg hinunter, führt sie der Pfad. Soweit die Abenteurer dies abschätzen können, wird die Höhle darüber hinaus zunehmend enger. Schon müssen sie kaum noch die Arme ausstrecken, um gleichzeitig die Wände auf beiden Seiten des Pfades zu erreichen. Bald darauf fällt es ihnen bereits schwer aufrecht zu gehen, ohne sich den Kopf an der Decke anzustoßen. Schließlich biegt der Gang mehrmals um eine Ecke und ein paar Schritte später stehen die drei unverhofft in einem weiten saalartigen Raum. Hoch über ihnen streckt sich ein Gewölbe aus Stein hinweg, in dem schmale, verwachsene Spalten zu erkennen sind. Vereinzelte dünne Sonnenstrahlen dringen von draußen herein, in denen man beobachten kann, wie von ihren Schritten aufgewirbelter Staub in der Luft flimmert. Inzwischen hat die Finsternis, welche sie umgibt seit sie das Tor durchschritten haben, merklich abgenommen. Ihr bisheriger Weg wurde wohl bereits bisher durch das schwache Licht von der Höhlendecke ein wenig beleuchtet. Unterhalb von ihnen tiefer in der Höhle können die Wanderer den Widerschein eines Gewässers ausmachen. Schwarz, kalt und unergründlich schimmert es dort im Halbdunkeln. Bisher liegt der kleine See still und ruhig vor ihnen. Indessen im gleichen Moment in dem sie sich dem unterirdischen Teich nähern, kommt plötzlich Leben in ihn. Aus der Tiefe taucht ein dunkler, verschwommener Schatten auf und durchbricht unvermittelt wenige Augenblicke später die bis dahin spiegelglatte Oberfläche des Wassers. Stück für Stück erhebt sich nun eine immer größer und mächtiger werdende Silhouette aus dem Tümpel. Beim Anblick des unbekannten Tieres, um ein solches handelt es sich offensichtlich, ist sogar Ortrun völlig schockiert. Was sich da so bedrohlich vor ihnen aus dem Gewässers in die Höhe reckt, übersteigt all das, was sich jemals einer von ihnen zuvor vorgestellt hat. Einzig Ferun kommen beim Anblick des Wesens beinahe verdrängte Erinnerungen in den Sinn. Sieht das Tier vor ihr denn nicht genau wie jenes aus, von welchem sie vor nicht einmal einem Mond geträumt hat? Von dem sie gleich darauf eine kleine Figur aus Ton geformt hat? Tatsächlich, nun da die Bilder jener Nacht abermals in ihren Gedanken erscheinen, verschwinden die allerletzten Zweifel daran. Bis auf das kleinste Detail gleicht das Wesen ihrer Tonfigur, welche sie damals den beiden Begleitern sowie ebenfalls den Seherinnen gezeigt hat. Gleichzeitig könnte der Unterschied zwischen der Wirklichkeit und jener kleinen geformten Figur allerdings kaum gewaltiger sein. Das Tier vor ihr ist schon ohne Schwanz dreimal größer als Teutebrand, dem Größten von ihnen. Der Schwanz selbst, mit welchem das Ungeheuer hinter sich das kühle Nass aufwühlt, ist gerne noch einmal so lang. Ein Drache, dieser von vielen nur in Fabeln und Märchen für wahr gehaltene Mythos, lebendig, leibhaftig und in nahezu voller Größe, steht er den dreien nun gegenüber. Bisher hatte die kleine Schwester der Vermutung der Seherinnen wenig Glauben geschenkt, dass sie die Gabe des 'Sehens' besitzen würde, weil träumen tut schließlich jeder. Nun in ihrem Traum saß der Drache vor einer großen, roten Sonne und sang nebenher Lieder. Dieses Wesen hier jedoch, offenbar aus Fleisch und Blut, schwimmt im Wasser und schaut obendrein ziemlich missmutig aus seinen beiden Augen. Ein Zufall konnte dies alles gleichwohl ebenfalls nicht sein. Haben die Seherinnen nicht auch gemeint, man müsse die Gabe des 'Sehens' erst genau prüfen, bevor man sich ihrer sicher sein konnte? Gewiss gab es noch mehr Erklärungen für ihren damaligen Traum. Die Höhle lag schließlich nicht all zu weit von der Ibensul entfernt. Falls der Drache immer in der Höhle lebt, kann das Mädchen dies bestimmt irgendwie mitbekommen haben. Möglicherweise hatte es ihr Unterbewusstsein auf die eine oder andere Art wahrgenommen, vielleicht nur durch das Flüstern der Steine oder durch eine zum Greifen nahe in der Luft liegende Ahnung. Teutebrand kommt überhaupt nicht erst auf den Gedanken, sich Zeit für solche Überlegungen zu nehmen. Während sich die Elster sofort unter seiner Mütze versteckt, holt der Müllergeselle seinen Zauberstab hervor. Mit Hilfe seiner Zauberkünsten versucht der Junge anschließend den Drachen verschwinden zu lassen. Was er dabei nicht wissen kann, ein gewöhnlicher Hokuspokus funktioniert bei diesen Wesen nicht, denn Drachen gehören zu den wenigen Dingen, die unempfindlich gegenüber solch simpler Zauberei sind. Ferun hat sich ebenfalls bald wieder gefasst. Kurzentschlossen springt sie Teutebrand zur Seite, um ihn bei seinen Bemühungen mit ihrer eigenen Magie zu unterstützen. Behutsam versucht sie aus dem Wasser im See eine Welle zu formen. Das Ergebnis ihrer Bemühungen ist ziemlich kläglich, denn außer dass sich die Oberfläche des Gewässers ein wenig kräuselt, passiert fast gar nichts. Ferun schließt daraus, dass sie sich besser konzentrieren muss. Indem sie sich nun innerlich sammelt und all ihre Energie aufbringt, gelingt ihr der Zauber zumindest im Ansatz. Tatsächlich jagt nun eine Welle nach der anderen auf das Untier zu. Das Wesen ist davon weder besonders beeindruckt, noch zeigen ihre Anstrengungen irgendwelche anders gearteten Auswirkungen. Im Wesentlichen besteht der fragwürdige Erfolg von Feruns Zauberkünsten lediglich darin, dass sowohl das Tier als auch die Gefährten reichlich nass werden. Der großen Schwester gefällt dies nun ganz und gar nicht. Sowohl aus ihren Haaren als auch der Kleidung tropft das Wasser auf den Boden, wo es eine Pfütze bildet. Dennoch greift Ortrun aufgebracht nach ihrem Schwert. Durch die fruchtlosen Versuche ihrer Gefährten ist allerdings die Ziegenhaut, in der die Waffe steckt, ebenso feucht geworden. Aus diesem Grund braucht das Mädchen nahezu ewig, bis sie das Schwert endlich aus der Scheide bekommt. Hierauf will indes das furchterregende Wesen nicht warten. Im selben Moment, in welchem es die Waffe bemerkt, fängt es an Feuer zu spucken. Ein gewaltiger Feuerstrahl schießt dabei aus seinem Mund, genau über die Köpfe der Abenteurer hinweg. Gleichzeitig schlägt das Monster mit seinem mächtigen Schwanz mehrmals kräftig auf das Wasser, sodass dieses fast bis zur Decke der Höhle spritzt. Vollkommen unvermutet dreht sich der Drache plötzlich um, taucht in die dunkle Tiefe des Gewässers hinunter und ist kurz darauf ganz verschwunden. Erneut stehen die drei Abenteurer ganz alleine in der Höhle. Dann entdecken die beiden Schwestern im nachglimmenden Licht des Feuerspuckens jenseits des Gewässers einen Durchgang zwischen den Felsen. Erst einmal wollen sich die Freunde jedoch von ihrem Schrecken erholen und sie verweilen dafür noch einige Momente am See. Währenddessen untersucht Teutebrand seine Mütze, glücklicherweise ist diese aber von den Flammen nicht getroffen oder angesengt worden. Allmählich versinkt alles um sie herum abermals in nahezu vollkommene Dunkelheit. Nachdem die Gefährten meinen, sich ganz sicher sein zu können, dass das Ungeheuer wirklich nicht zurückkehrt, nehmen sie erneut ihre Wanderung durch die Finsternis auf. Zuerst einmal wollen sie einen Ausgang suchen gehen und hierzu umrunden sie gemeinsam den See. Der Durchgang den die Mädchen auf der anderen Seite des Gewässer gesehen haben, scheint indessen die einzige Möglichkeiten für sie zu sein, um aus der Höhle zu gelangen. Den Weg zurück, den selben den sie gekommen sind, wollen sie jetzt ganz gewiss nicht nehmen. Allerdings erweist sich der neue Pfad jenseits des schmalen Durchbruchs nur als weiterer enger, verwinkelter Gang, welcher sie in der Folge lediglich tiefer in den Berg führt. Beinahe den ganzen Mittag über folgen sie einem schlecht auszumachenden Trampelpfad. Von Zeit zu Zeit weitet sich dieser für wenige Schritte zu einem geräumigen Ausbruch im Berg. Ein manches Mal denken die Gefährten deshalb, sie würden in der Dunkelheit im Kreis herumirren, derart gleichen die Grotten einander, in die sie dabei gelangen. Schon lange haben die Abenteurer jegliches Zeitgefühl verloren, da bemerken sie, dass die bedrückende Finsternis abermals beständig abnimmt. Bald ist ihr Weg derart hell erleuchtet, dass die drei nahezu sicher sind, einen Ausgang gefunden zu haben, der sie hinaus ins Tageslicht führt. Deshalb ist die Enttäuschung groß, als sie nur in einen weiteren Raum gelangen, der den vorherigen ziemlich ähnelt. Im Unterschied zu allen Höhlen, auf die sie bisher auf ihrem Weg gestoßen sind, scheinen hingegen in dieser alle Wände und selbst der Boden aus großen Kristallen zu bestehen. Irgendwo hoch unter der Decke gibt es offensichtlich ebenfalls Öffnungen nach draußen, selbst wenn diese vom ihrem Standort aus nicht sichtbar sind. Das wenige Licht, welches von dort zu ihnen in die Dunkelheit dringt, wird an allen Wänden mehrfach gespiegelt und hierdurch um ein Vielfaches verstärkt. Der größte Teil der geräumigen Grotte wird auf diese Weise recht gut ausgeleuchtet, lediglich die Decke selbst verbleibt weitestgehend im Halbdunkeln. Alleine der Umstand, dass sie endlich mal wieder etwas sehen können, hebt die Laune der Freunde ein wenig. Geblendet von der ungewohnten Helligkeit schauen sich die Gefährten in dem unterirdischen Kristallsaal um und entdecken dabei an den Wänden mehrere große Felsvorsprünge. Bei näherer Betrachtung der säulenartigen Gebilde stellen sie fest, dass es sich hierbei um Statuen aus Kristall von irgendwelchen menschenähnlichen Wesen handelt. 'Die Säulen würden wohl gleich den Holzstützen in den Häusern die Decke tragen', vermutet Ortrun. 'Ihn würden die Kristallfiguren an die bemalten Wände in ihrem Lager zuhause in Murrtal erinnern', meint dagegen Teutebrand. 'Mit den geradezu gigantischem Ausmaßen könnten die Skulpturen vielleicht Riesen darstellen, von solchen habe sie schon gehört', gibt Ferun ihre Ansicht zum Besten. Wer aber solche riesigen Kunstwerke geschaffen haben soll, ist ihnen allen ein großes Rätsel. Vorsichtig treten Teutebrand und Ferun näher an die Statuen heran, damit sie diese untersuchen können. Natürlich müssen sie hierfür die Figuren ebenfalls berühren. Zuerst fühlen sich die ungewöhnlichen Gebilde aus Kristall ganz kalt an. Erstaunt stellt der Müllergeselle aber bald fest, dass das mineralische Material unter seinen Fingern immer wärmer wird. Bei einer der anderen Figuren ergeht es der kleinen Schwester genauso. Mit einem Male geschieht dann wirklich Seltsames, mit dem keiner der dreien auch nur im Geringsten gerechnet hätte. Die beiden Gebilde aus Kristall, welche sie berührt haben, scheinen plötzlich und völlig überraschend zum Leben zu erwachen. Das Erstaunen der Gefährten kennt keine Grenzen, als sich die Riesen kurz darauf mühsam in Bewegung setzen. Die drei befürchten zunächst, die Decke würde gleich auf sie herunterstürzen, doch dies geschieht glücklicherweise nicht. Stattdessen kommen die erwachten, gigantischen Statuen auf die Freunde zu, worauf diese panisch die Flucht ergreifen. Die Kolosse verfolgen die Gefährten indessen hartnäckig und jagen diese nahezu durch die komplette Höhle. Nachdem sich Ortrun von ihrem ersten Schreck etwas gefasst hat, bleibt sie nichtsdestotrotz stehen. Die große Schwester zieht ihr Schwert und versucht die Wesen damit aufzuhalten, was ihr jedoch nicht gelingen mag. Gewiss ein jedes Mal wenn sie auf die Riesen einschlägt, klingen die Hiebe ihrer Waffe kalt und metallisch auf dem funkelnden Stein, ansonsten zeigen die mächtigen Figuren freilich keine Reaktion. Ganz im Gegenteil scheinen die Statuen die Streiche des Schwertes nicht einmal zu bemerken. Der Zauber von Teutebrand scheint ebenso von den Kolossen abzuprallen, schlimmer noch die Zaubersprüche des Jungen reflektieren von den Kristallwesen auf die Spiegelwände der Höhle und drohen auf diese Weise sie selbst zu treffen. Dennoch stellen die Freunde nach kurzer Zeit fest, dass die Riesen nahezu blind sein müssen. Wieso sie die drei trotzdem zielsicher finden, ist ihnen zunächst ein Rätsel. Ferun vermutet, dass sie auf die Wärme ihrer Körper reagieren. Sind die eigentlich leblosen Steinhaufen doch erst erwacht, als sie von etwas Warmen und Lebendigen berührt wurden. Es dauert daher nicht lange und die Riesen kommen den Gefährten gefährlich nahe, drohen diese einzuholen und einzukreisen. Nun ist das jüngere der Mädchen an der Reihe, sich etwas einfallen zu lassen. Aus dem auf dem Boden liegenden Steinmehl und Kristallstaub entfacht die kleine Schwester einen Staubsturm und verwirrt damit die ihnen nachsetzenden Statuen für einige wenige Augenblicke. Hierdurch können sie einen kleinen Vorsprung gewinnen, der gerade ausreicht um eine alte, morsche Hängebrücke zu erreichen, die im hinteren Teil der Höhle einen tiefen, nicht allzu breiten Graben überspannt. Da es hier wesentlich dunkler ist als im Rest der Grotte, haben die Gefährten die Brücke erst jetzt entdeckt. Zugegebenermaßen sieht die Fluchtmöglichkeit nicht sehr vertrauenswürdig aus. Eine wackelige Konstruktion aus dünnen Seilen und schmalen Brettern, mehr ist der Übergang über den Abgrund nicht. Trotzdem die drei haben keine große Wahl und erst recht haben sie keine Zeit zum Überlegen. Erst Ferun, dann Ortrun und schließlich auch Teutebrand laufen über den alten morschen Steg und alle erreichen unbeschadet die andere Seite. Die beiden Statuen aus Kristall sind den Gefährten die ganze Zeit dicht auf den Fersen. Nahezu zeitgleich betreten die unförmigen Kolosse gleichfalls die wackelige Brücke. Ihnen ist die Gefahr offenbar überhaupt nicht bewusst, in welcher sie dadurch schweben. Natürlich kann das alte Bauwerk das Gewicht der schweren Skulpturen nicht tragen, reißt die Riesen bei Einsturz mit in die Tiefe. Mit viel Glück konnten die Abenteurer erneut entkommen, weitergebracht hat sie dies indes so gut wie gar nicht. Zumindest ist der neue Pfad, der auf sie wartet und welchen sie nun beschreiten, nicht derart dunkel und eng, wie es weite Teile der Höhle zuvor waren. Zum einen wird ihr Weg noch eine Weile vom Licht der Kristallhöhle beleuchtet, aber auch danach gibt es immer wieder Spalten und Risse in dem unerreichbaren Gewölbe über ihnen, durch das ein wenig Helligkeit in die Höhle hereindringt. Zum anderen handelt es sich mehr um aneinandergereihte, schlauchartige Grotten, durch welche sie jetzt marschieren. Diese sind wesentlicher breiter und geräumiger als die düsteren, beklemmenden Gänge zuvor. Links und rechts wird ihr Pfad von seltsamen Gebilden gesäumt, die auf geradezu bizarre Weise von der Decke herabhängen oder wie Pilze aus dem Boden zu wachsen scheinen. Manchmal stehen die sonderbaren Formationen aus eigenartigem, weißem und weichem Gestein ebenso mitten auf ihrem Weg, wobei die Gefährten ein jedes Mal versuchen, diese mit ausreichend Abstand zu umgehen. Dabei schenken sie den unheimlichen Gebilden so wenig Beachtung wie nur irgendwie möglich, denn deren absolut wundersamen Umrisse erinnern die Abenteurer zu sehr an irgendwelche urtümliche Lebewesen. Soviel Vorsicht erscheint ihnen durchaus angebracht zu sein, nach all der Erfahrung die sie gerade eben erst mit den kristallenen Riesen sammeln konnten. Inzwischen bricht draußen offensichtlich bereits die Nacht an und die Freunde beschließen an Ort und Stelle ihr Lager einzurichten. Allmählich drohen sie den Mut zu verlieren, als es um sie herum erneut fast völlig dunkel wird. Mitgenommen und erschöpft von den Strapazen der erlebten Abenteurer haben die Gefährten Hunger und essen deshalb etwas vom Proviant in den Beuteln der Mädchen. Vor allem die selbstgebackenen Blaubeerbrötchen schmecken noch immer sehr lecker, ist es doch ihre erste Mahlzeit seit einer kurzen Rast am Mittag und einem ausgiebigeren Frühstück vor ihrem Aufbruch am Morgen an der Ibensul. über einer nahezu kreisrunden Öffnung im Gewölbe des kleinen Raumes stehen einige wenige Sterne am Nachthimmel. Bevor die müden Wanderer einschlafen, können sie dort den Mond betrachten, dessen fahles Licht zu ihnen in die Höhle scheint. Damit wissen die Gefährten zumindest, dass die Außenwelt gar nicht so fern von ihnen liegt, wie dies im Augenblick den Anschein erwecken mag. Wie sie indes dorthin gelangen sollen, diese Frage bleibt für die Gefährten vorerst unbeantwortet. Abermals ist es der eindringliche Warnruf der Elster, wovon die Abenteurer früh am nächsten Morgen aufwachen. Grund für die Aufregung ist ein Falke, der oben am Rand des Deckendurchbruchs sitzt und ihren gefiederten Kameraden zu seinem Tun veranlasst. 'Gewiss hätte der Zeremonienmeisters seinen Begleiter geschickt, um sie zu unterstützen', stammelt Teutebrand kaum aus dem Schlaf gerissen. In diesem Moment bemerkt sie der Raubvogel offenkundig, prompt breitet dieser seine Schwingen aus, bevor er rasch davon fliegt. Die Freunde müssen notgedrungen ihre eigene Suche nach einem Ausgang aus Dunkelwelt zu Fuß fortsetzen, denn um selbst zu der engen Öffnung hinaufzuklettern, dafür ist diese zu weit entfernt. Kaum hat sich ihr Weg seit dem gestrigen Abend geändert. In den Grotten welche sie in der Folge durchwandern, sind immer noch die seltsamen Gebilde aus dem weißen, weichen Stein und den bizarren Formen zu finden. Erst nachdem die Gefährten eine beträchtliche Strecke hinter sich gebracht haben, verengt sich die Höhle ein weiteres Mal zu einem schmalen Gang. Es dauert nicht allzu lange und die Freunde erreichen eine Stelle an der sich der Weg gabelt. Die Wanderer können sich kaum entscheiden, welchem der Wege sie nun folgen wollen. Schlussendlich fordert Teutebrand die Mädchen zum Zurückzubleiben auf, weil er einen der Gänge vorsichtshalber zunächst alleine auskundschaften möchte. Der Pfad den sich der Junge für sein Vorhaben ausgesucht hat, ist jener der drei unbekannten Gänge aus dem unbestreitbar leise Geräusche zu vernehmen sind. Vorsichtig tastet sich der Müllergeselle den dunklen Hohlweg entlang und immer deutlicher kann er einen Zischen und Blubbern hören. Um ihn herum wird es immer heißer, darüber hinaus beginnt es untrüglich nach faulen Eiern zu stinken. Als Ursache hierfür macht der Junge am Ende des Ganges einen Durchbruch in der Wand aus, hinter welchem ein unbeständiges Flackern zu erkennen ist. Wenig beeindruckt von all dem, möchte Teutebrand dennoch versuchen, durch die Öffnung zu schlüpfen. Von der übelriechenden, heißen Luft fällt der Junge allerdings in Ohnmacht, bevor er überhaupt in die Höhle klettern kann. Das letzte das der Junge sieht, ehe es ihm endgültig schwarz vor Augen wird, ist wie vom Grund des neuentdeckten Raumes heiße Lava emporquillt. Einiges später findet Teutebrand auf dem Rücken am Boden liegend bei der Weggabelung wieder zu sich. Das erste das der Junge bewusst wahrnimmt, ist die kleine Schwester. Ferun kniet hinter ihm und drückt seinen Kopf gegen ihre Brust, während sie ihn mit der anderen Hand an den Schultern festhält. Gleichzeitig sitzt die große Schwester neben dem Müllergesellen und versucht diesen fortwährend am Bauch zu kitzeln. Scheinbar wurde Ortruns Unterfangen von Erfolg gekrönt, denn Teutebrand ist ununterbrochen am Lachen, sodass die beiden Mädchen ihn beruhigen müssen. 'Er wäre ziemlich lange ohne Bewusstsein gewesen, nachdem sie ihn aus dem Hohlweg geborgen hätten', erzählen ihm die Geschwister hierauf. 'Ständig habe er um sich geschlagen und die ganze Zeit über seltsames Zeug geplappert.' Der Junge kann sich an nichts von alledem erinnern, was ihm die beiden Mädchen berichten. Überhaupt besitzt er keinerlei Erinnerung an die Zeit, in welcher er ohne Bewusstsein war. Dafür kommt dem Müllergesellen plötzlich etwas anderes in den Sinn. Vor Kurzem muss er etwas äußert Merkwürdiges geträumt gehabt, meint Teutebrand sich entsinnen zu können. Im Schlaf hat er den Zeremonienmeister gehört, wie dieser zu ihm gesprochen hat. Als er darauf der Stimme gefolgt ist, um nach Radewald zu suchen, konnte er ihn anderseits einfach nicht finden. Stattdessen ist er in seinem Traum in eine Trance gefallen und mit einem Male hat er dabei die Welt aus den Augen der Elster gesehen. Wann er dies geträumt hat, in der Zeit seiner Ohnmacht oder in der Nacht davor, auf diese Frage weiß der Müllergeselle derweil keine Antwort. Ebenso wenig findet der Junge eine Erklärung dafür, wie dergleichen Dinge möglich sein können. Im Augenblick fühlt sich Teutebrand noch ziemlich schwach und überdies ein bisschen benommen, deshalb bleibt er lieber weiterhin am Boden in den Armen von Ferun liegen. Es dauert eine ganze Weile, bis der Junge seine Kräften zumindest soweit zurückerlangt hat, um überhaupt an ein Aufstehen denken zu können. Auf einem der beiden verbliebenen Pfade ziehen die Wanderer darauf weiter. Ziemlich finster ist dieser verhältnismäßig breite Gang und leidlich wird er von einem diffusen Licht beleuchtet. Nach vielen verschlungen Windungen und unübersichtlichen Kurven stehen die Gefährten letztlich am Ufer eines flachen Sees. Offenbar haben sie das Ende des Ganges erreicht, denn einen zweiten Ausgang aus dieser Grotte scheint es nicht zu geben. Einzig gegenüber unter der Wasseroberfläche ist der Eingang zu einem Tunnel entdecken, welcher sie weiterführen könnte. Wohin dieser versteckte Abfluss des Tümpels fliest, ist indessen nicht zu erkennen. Außerdem ist das Wasser viel zu kalt, sodass es den dreien keine gute Idee erscheint, durch den See schwimmen oder gar tauchen zu wollen. 'Er würde dies gewiss schaffen', meint der Junge nach einigem Überlegen mit wenig Überzeugung. Wahrscheinlich sagt er dies allein deshalb, um die Mädchen zu beeindrucken und von seiner vorherigen Bewusstlosigkeit abzulenken. Viel mehr Möglichkeiten, wie zurück zur Weggabelung zugehen, dort den letzten der drei Pfad auszuprobieren, stehen den Abenteurern somit nicht zur Verfügung. Es dauert indes nicht lange und es stellt sich heraus, dass dies keine besonders gute Idee war. Der Weg endet bald schon in einer weiteren Höhle, die wesentlich größer ist, als die meisten der Grotten durch welche die Wanderer in Dunkelwelt bisher gekommen sind. Hier stoßen die Abenteurer auf eine Person, die einen Hammer in ihren Händen hält und deren Kopf unter einem Schlapphut mit breiter Krempe steckt. Das Erstaunlichste an diesem Menschen stellt aber seine Größe dar, da er nur halb so groß wie Ferun ist. Mit dem Rücken zu den Freunden gewandt, steht der Winzling auf der anderen Seite der Grotte und schlägt mit dem Werkzeug Steine aus der Wand. Zunächst denken die Gefährten, es würde sich um ein Kind handeln, bis sich der Knirps rasch umdreht, weil er die drei anscheinend bemerkt hat. Überrascht müssen die Wanderer nun feststellen, dass die Person einen kräftigen Vollbart und obendrein noch einen prächtigen Schnurrbart unter seiner unglaublich langen Nase trägt. Der Winzling steckt darüber hinaus in einem total verdreckt, dunklen Mantel, welcher bis fast zum Boden reicht. Unter diesem Umhang kann man lediglich die Stiefel des Männchens sehen, welche ebenso spitz auslaufen, wie der Bart in seinem Gesicht. Geradewegs eben so, wie man sich im Allgemeinen einen Zwerg vorstellt, sieht der bärtige Knirps aus. Neugierig geworden treten die Abenteurer näher und fragen den Zwerg, was er hier unten tun würde. 'Er hätte hier Gold gefunden und würde dieses abbauen', antwortet der Winzling mürrisch. Hierbei zeigt er auf einen kleinen Stapel von Steinen, welchen er fein säuberlich an der Seite der Höhle aufgeschichtet hat. Auf dem Markt in Fentovia haben Ferun und Ortrun schon öfters Gold gesehen, selbst wenn sie sich etwas derart Wertvolles niemals leisten könnten. Indessen erkennen sie sofort, dass das taube Gestein keinesfalls Gold sein kann. 'Das wäre gewiss kein Gold', erklären sie dem Zwerg schüchtern. 'Graue, tote Steine seien das, was er da sammle.' Man kann dem Winzling richtiggehend ansehen, wie furchtbar wütend ihn die Bemerkung der Mädchen macht. 'Sie sollen umgehend verschwinden', brüllt der Knirps sich fast die Seele aus dem Leib und bedroht die Gefährten gleichzeitig mit dem Werkzeug in seiner Hand. Auf ihren Absätzen drehen sich die Freunde um, denn sie bemerken wie ernst es dem aufgebrachten Zwerg ist. Fast schon haben die drei den Ausgang erreicht, da schleudert ihnen der Knirps voller Zorn trotzdem seinen Hammer hinterher. Zwar verfehlt sie das Wurfgeschoss, dafür trifft dieses jedoch einen Felsvorsprung direkt über dem Zugang zu der Grotte. Sofort fallen einzelne Felsen in die Hölle herunter, drohen den einzigen Fluchtweg zu versperren. Nur die Magie von Teutebrand kann dies im allerletzten Moment verhindern. Bevor die Zauberkräfte des Jungen schwinden, der Felssturz den Eingang vollkommen verschließt, gelingt es den Gefährten zu entwischen. Lange wird das Hindernis den Zwerg aber sicherlich nicht aufhalten. Hinter dem verschütteten Zugang erklingt bereits der Hammer des Winzlings, der offenkundig versucht, die herabgestürzten Felsbrocken mit Hilfe des schweren Werkzeuges zu zertrümmern. Reichlich kopflos fliehen die Freunde zurück zur Höhle mit dem Tümpel, vielleicht können sie doch durch das Wasser entkommen. An der Weggabelung verlaufen sie sich beinahe in den Hohlweg, in dem Teutebrand zuvor ohnmächtig wurde. Sowie sie ihren Fehler bemerken, gelingt es den drei gerade noch rechtzeitig umzudrehen. Völlig außer Atem erreichen sie kurz darauf das Seeufer. Welle für Welle schiebt die kleine Schwester nun mit Hilfe ihrer Zauberkraft das des Wasser durch die schmale Öffnung. Auf diese Weise ist der eiskalte Tümpel zum Schluss höchstens noch knietief gefüllt. Indem Ortrun Schuhe und Stulpen auszieht, während Ferun und Teutebrand den Rock beziehungsweise die Hose hochkrempeln, versuchen die Abenteurer durch das Wasser zu waten. Ohne größere Probleme, wenngleich mit nassen Füssen und klappernden Zähnen, können sie den Durchgang passieren. Hinter den abgehetzten Gefährten steigt das Wasser in dem See bereits erneut, ein weiteres Mal ist ihnen also der Rückweg verschlossen. Der Raum auf dieser Seite des Tunnels, in dem sich die drei nun befinden, gleicht all den anderen Höhlen ihrer bisherigen Abenteuer in Dunkelwelt. Nur der Umstand, dass die Grotte wesentlich kleiner ist, unterscheidet sie von den vorherigen. Jenseits ihres nassen Durchschlupfes können die Freunde den Zwerg schon schimpfen hören, indes scheint er ihnen nicht durch das kalte Wasser folgen zu wollen. Ungeachtet dessen, dass es mit der Laune der dreien nicht zum Besten steht, treibt es sie trotzdem kurz darauf weiter. Gleichwohl sind es vollkommen andere Probleme vor die sie nun gestellt werden. Wege führen aus ihrer Höhle genügend, doch schon nach wenigen Schritten gabeln sich diese von Neuem auf. Ständig werden die Wanderer dadurch gezwungen, sich für die eine oder die andere Richtung entscheiden zu müssen. Derart zahlreich sind die Möglichkeiten, so unüberschaubar ist die Anzahl der Wege und doch führt sie jeder Pfad sie lediglich in die Irre. Lange dauert es, bis sich die Gefährten bewusst werden, dass sie in ein Labyrinth geraten sind. Offenbar besteht das Höhlensystem aus einer handvoll kleinerer Räume, welche durch Unmengen an Gängen stets lediglich untereinander verbunden sind. Den ganzen Nachmittag über sind sie wohl auf diese Art herumgeirrt, früher oder später ein weiteres Mal in der Grotte hinter dem kleinen See gelandet. Das Einzige was die Freunde dagegen nicht finden konnten, dies ist einen Ausgang aus dem Labyrinth. Natürlich könnten sie zurück durch den Unterwassertunnel waten. Hiervon abhalten tut sie außer dem kalten Wasser ebenso die Vermutung, der wütende Zwerg könnte dort noch immer auf der Lauer liegen. Gerade hat sie einer der vielen Versuche ihrem unterirdischen Verlies zu entkommen, wiederum in die kleine Grotte geführt, da bemerkt der Müllergeselle, dass die Elster verschwunden ist. Eben saß sie noch auf seiner Schulter, darüber ist sich der Junge sicher. Wo der Vogel abgeblieben ist und wie er ihn wiederfinden soll in dem unübersichtlichen Gewirr an Gängen, ist ihm indessen ein Rätsel. Dann entsinnt sich Teutebrand an den Traum, welchen er am Tag zuvor wohl während seiner Bewusstlosigkeit hatte. Ein einziges Mal war er zuvor in Ohnmacht gefallen, dies war auf dem großen Tisch damals im Winter daheim im Wald bei Murrtal gewesen. Seitdem hatte er soviel Dinge erlebt oder gelernt, welche er zuvor für unmöglich gehalten hätte. Wieso also sollte er jetzt nicht herausbekommen, wo sich die Elster gerade befand, einfach indem er sich darauf konzentrieren würde sie zu sehen. Zumindest würde es in ihrer jetzigen Lage gewiss nicht schaden, es einfach einmal auszuprobieren. Zwar mit wenig Überzeugung, dennoch wild entschlossen den gefiederten Freund zu finden, schließt der Müllergeselle also die Augen. Angestrengt versucht er sich zu konzentrieren, alle seine Gedanken nur auf die Elster zu richten. Anfangs kommt er sich schon ziemlich blöde vor. Andrerseits möchte er ebenso wenig leichtfertig aufgeben, solange ein Funke Hoffnung besteht, dass sein Unterfangen von Erfolg gekrönt sein könnte. Tatsächlich sieht er die Elster völlig unvermittelt vor seinen geschlossenen Augen. Der Vogel sitzt allem Anschein nach irgendwo hoch oben auf einem Ansitz, weil der Junge kann in seiner Vision auf einen düsteren, engen Hohlweg hinunterblicken. Offensichtlich bewegt sein gefiederter Freund gerade den Kopf, denn nun streift Teutebrands innerer Blick gleichfalls in beide Richtungen den Gang entlang. Das Spannendste an der Vision des Müllergesellen stellt allerdings der Moment dar, in dem er direkt hinter dem Sitzplatz des Vogels einen schmalen Durchschlupf entdeckt. In diesem Augenblick möchte der Junge schlichtweg nur loslaufen, so schnell wie irgendwie möglich zu seinem gefiederten Freund gelangen und selbst sein Herz macht einige Hüpfer. Grund dafür ist, dass er den Ort erkennt, an welchem sich die Elster befinden muss. Am Nachmittag waren sie auf ihren Irrwegen mehrmals an der Stelle vorbeigekommen, darin ist sich der Müllergeselle sicher. Schlagartig erwacht Teutebrand hierauf aus seinem tranceartigen Zustand. Ziemlich ungläubig starren ihn die Mädchen an, als der Junge diesen umgehend von seiner Vision erzählt. Keine der beiden hat allerdings eine bessere Idee oder kann ansonsten eine Lösung vorschlagen, welche sie aus ihrer misslichen Situation befreien würde. Von daher raffen sich die drei abermals auf, um den gefiederten Freund suchen zu gehen. Geradewegs wie es Teutebrand vorausgesagt hat, finden sie den Vogel bald darauf in einem der unzähligen, kaum unterscheidbaren Gänge. Über ihnen sitzt nun tatsächlich die Elster auf einem Felsvorsprung und möchte trotz allem Locken und gutem Zureden der Freunde, nicht zu diesen herunterkommen. Stattdessen zwitschert ihr gefiederter Freund aufgeregt vor sich hin und flattert nebenher unentwegt mit seinen Flügeln. Fast erweckt es den Eindruck, als würde der Vogel versuchen, die Gefährten dazu aufzufordern, dass sie zu ihm hinaufsteigen sollen. Kein leichtes Unterfangen für die Freunde, den beinahe senkrecht geht die spiegelglatte Wand in die Höhe. Erst in doppelter Mannshöhe scheint es Griffe im Fels zu geben, an denen man sich festhalten könnte, zunächst jedoch müsste man diese erst einmal erreichen. Ortrun die beste Kletterin unter den dreien möchte zumindest den Versuch unternehmen, die unüberwindbar erscheinende Wand hinaufzugelangen. Sie steigt auf die Schultern des Jungen und sucht von hier einen Halt an der vollkommen ebenen Wand zu finden. Dies will ihr indes nicht gelingen, denn die wenigen Spalten die vorhanden sind, erweisen sich sogar für ihre grazilen Finger als viel zu eng. Wild entschlossen zieht die große Schwester alsdann das Schwert und stößt dieses mit aller Kraft in eine der Klüfte. Nachdem sie zunächst ausprobiert hat, ob es richtig fest in dem Riss im Fels steckt, kann sie sich mit einer Hand am Griff der Waffe hochziehen. Auf diese Weise erreicht sie mit der anderen Hand einen kleinen Sims, von dem aus es relativ einfach ist, den Rest der Wand hinaufzuklettern. Kaum oben angekommen, vergewissert sich Ortrun vor jeglichem sonstigem Tun, ob die Freunde den Durchbruch in der Höhlenwand passieren können. Nun erst greift die große Schwester nach den Tüchern, welche beim Aufstieg um ihren Körper geschlungen waren und verknüpft diese zu einem langen Seil. Ein Ende der verknoteten Tücher lässt Ortrun zu den beiden Gefährten hinunter, damit diese die Ausrüstung daran festmachen können. Zunächst zieht das ältere der Mädchen die am Seil hängenden Gegenstände zu sich hoch, danach klettern Ferun und ganz zum Schluss Teutebrand an dem provisorischen Seil die Felswand hinauf. Von der Elster wird der Müllergeselle sogleich herzlich begrüßt. Reichlich vernarrt knabbert ihm der Vogel am Ohr, reibt dieser sein Köpfchen an der Wange des Jungen, um schließlich ruhig auf der Schulter zu verharren. Nach dem verlorenen Nachmittag möchten die Gefährten doch noch ein Stück vorankommen. Sie sind gerade dabei durch den Durchschlupf zu steigen, da fällt Ortrun auf, dass sie ihre Waffe vergessen hat. Geschwind seilen die beiden Anderen die große Schwester nochmals ab, damit diese das Schwert bergen kann, welches unter ihnen in der Spalte im Fels feststeckt. Nicht lange danach steht Ortrun mit der Waffe am Gürtel wieder neben ihnen. Endlich können sich die Freunde samt der Elster durch Öffnung zwängen, geradeso reicht der Platz hierfür aus. Während all der Aufregung haben die Gefährten gar nicht mitbekommen, wie spät es inzwischen geworden ist. Die einsetzende Dunkelheit macht jegliches Weiterkommen unmöglich und sie beschließen die Nacht in der einigermaßen geräumigen Höhle zu verbringen, in welcher die Freunde durch die Kletterpartie gelandet sind. Blaubeerbrötchen sind noch genügend vorhanden, zumindest müssen die Abenteurer also nicht hungern. Irgendetwas muss Teutebrand aufgeweckt haben. Da um ihn herum alles im Stockdunkeln liegt, vermutet der Müllergeselle, dass es wohl lange vor dem Sonnenaufgang ist. Neben sich kann er die Schwestern miteinander tuscheln hören, anscheinend sind Ferun und Ortrun ebenfalls aus dem Schlaf geschreckt. Angespannt lauscht der Junge in die Stille des finsteren Ganges hinein, von woher die Ursache für die mitternächtliche Ruhestörung offenkundig stammt. Ohne jegliche Zweifel eben waren die ungewöhnlichen Töne wiederum zu vernehmen gewesen. Wie wenn man zwei Besenstiele gegeneinander schlagen und aneinander reiben würde, ziemlich genau so hörte es sich an. Wenig später wird das Angst einjagende Gepolter lauter und lauter, bald schon ist es schlichtweg nicht mehr zu überhören. Gleichzeitig schimmert ein seltsames Licht den Gang herauf. Zu Beginn ist dieses kaum wahrnehmbar, kurz darauf aber derart deutlich zu erkennen, dass es selbst in ihrer Grotte zunehmend heller wird. Sodann werden drei Silhouetten vor der Leuchterscheinung sichtbar. Ganz gemächlich schlendern diese schattenhaften Umrisse auf die Gefährten zu. Als wäre es das natürlichste von der Welt, setzen sie sich schließlich direkt neben den Abenteurern auf den Boden. Beim ihrem Anblick geht Teutebrand zunächst davon aus, dass er all dies bloß träume. 'Sollte er seinen Augen trauen', würde er sich bestimmt fragen, wenn er denn wirklich wach wäre. Ein Haufen, genauer gesagt drei Haufen blanker Knochen, sitzen jetzt an der Seite des Jungen. Die Gebeine scheint jemand derart zusammengebaut zu haben, dass eine gewisse, zufällige Ähnlichkeit zu echten Personen, solchen aus Fleisch und und Blut, nicht zu leugnen ist. Nicht einmal eine Armeslänge trennt den Müllergesellen von dieser seltsamen, zugegebenermaßen grotesken Erscheinung. Geradewegs so als wäre dies noch nicht ungewöhnlich genug, packen die Knochengerüste einen Stapel Karten aus und fangen an miteinander Poker zu spielen. Ferun zu ihrem Teil möchte eigentlich viel lieber noch schlafen. Dass ihr dies gelingen wird, solange sich die Skelette beim Kartenspielen weiterhin dermaßen laut unterhalten, hieran hegt die kleine Schwester indes erhebliche Bedenken. Kurz entschlossen erhebt sich das Mädchen von ihrem Nachtlager, forsch und unduldsam fährt sie die seltsamen Gestalten an. 'Sie sollten gefälligst ein bisschen leiser sein oder wollten die Kartenspieler sie unbedingt um ihren Schlaf bringen?', fordert Ferun die störende, tratschende Runde mit fester Stimme auf. Reichlich verdutzt nehmen die Geister die Mahnung der kleinen Schwester zur Kenntnis. 'Lebende Personen hier im Totenreich, dies hätte es lange nicht mehr gegeben', antwortet eines der knöchernen Gerippe, offensichtlich etwas zerknirscht, ob der unerwarteten Ansprache. 'Um Schlaf müssten sie sich allerdings keine Gedanken machen, hier in der Ewigkeit gäbe es dafür Zeit genug.' 'Sie möchte sich nicht mit der Ewigkeit beschäftigen', erwidert Ferun umgehend. 'Sobald es morgen hell würde, müssten sie schauen, dass sie weiterkommen und ausgeschlafen ginge dies sicherlich besser.' Eine gewisse Verunsicherung merkt man ihr freilich bereits an. Das folgende eiskalte und abweisende Lachen der Gespenster lässt die Gefährten frösteln. Vor Schrecken erstarrt, vernehmen sie die hohl und teilnahmslos klingende Antwort des Knochengerüstes. 'Genauso wenig wie es in der Ewigkeit ein morgen gäbe, so gäbe es im Totenreich auch kein Weiterkommen. Wer einmal hier bei ihnen gelandet sei, würde meist für immer bleiben.' Ein jeder der drei Freunde wird bei diesem Ausspruch des Skelettes kreidebleich, was aber in der Dunkelheit nicht besonders auffällt. Schnell hat sich die kleine Schwester gefangen. 'Nun für Tote möge zutreffen, was sie da erzählen würden', wirft Ferun wortgewandt ein. 'Indessen, wie die Gespenster gerade eben selbst festgestellt hätten, wären sie gar nicht tot. Sie wären am Leben und dank des Radaus, welche sie unnötiger Weise beim Kartenspielen veranstalten würden, überdies wach und putzmunter.' 'Es ist dunkel', hätte das junge Mädchen auch sagen können, denn ihre schlagfertige Erwiderung kann das breite Grinsen der Totenköpfe nicht im Geringsten beeinflussen. 'Der Umstand, dass sie am Leben wären, sei lediglich kleineren, organisatorischen Schwierigkeiten zu schulden', antwortet ein anderes der Gerippe, wobei die Gleichgültigkeit mit der das Gespenst solch unerhörtes von sich gibt, keinen Deut aufgesetzt wirkt. 'Ihr Boss der Sensenmann sei gerade sehr beschäftigt, deshalb habe er sie als Wächter geschickt.' Das Knochengerüst wirft dem Mädchen jetzt einen zweideutigen, abschätzigen Blick zu, bevor es zu einer etwas ausführlicheren Erklärung ansetzt. 'Selbst sei der Chef gerade mit dem vollgeladenen Totenschiff auf dem Weg hierher, lediglich ein heftiger Sturm würde seine Ankunft ein klein wenig verzögern. Gleich nach seiner Rückkehr würde sich der Sensenmann gewiss um sie kümmern und die notwendigen Grundlagen für ihren Aufenthalt hier unten schaffen. Vielleicht wollte einer von ihnen so lange beim Kartenspielen mitmachen. Zu viert sei dieser Zeitvertreib sicherlich spannender, wie immer nur zu dritt und überdies mit den gleichen Partnern zu spielen.' Die Aussichtslosigkeit einer weiteren Diskussion mit den Gespenstern erkennt genauso Teutebrand, der Tod er lässt sich eben schlecht bequatschen. Bestimmt gibt eine andere, bessere Möglichkeit der verfahrenen Situation entrinnen zu können, denkt sich de Junge, nur müsste man solch eine Lösung erst finden. 'Gerne sei er bereit mit ihnen Karten zu spielen', erklärt der Müllergeselle nach einigen Momenten des Grübelns den Gespenstern. 'Für den Fall dass er gewinnen würde, müssten die Wächter ihnen allerdings versprechen, sie umgehend ziehen zu lassen.' Die Knochengerüste gehen wohl davon aus, nicht verlieren zu können. Ohne groß zu zögern und zur Überraschung des Jungen willigen diese seiner Forderung bei. Die Gründe hierfür sind den Freunden vorerst nicht ersichtlich. 'Falls der Neuabkömmling auch nur eine Spiel gegen sie gewinnen könnte, wären alle Gefährten sofort frei und sie würden ihren Weg unbehelligt fortsetzen können', versichern die Skelette. Da die Gespenster von Teutebrands Zauberkünsten nichts ahnen können, rechnet sich der Müllergeselle selbst gute Chancen aus, die richtigen Karten in die Hand zu bekommen. Dank seiner neu entdeckten Fähigkeit, mit den Augen der Elster die Welt wahrzunehmen, wird er darüber hinaus stets wissen, welche Karten seine Gegenüber besitzen. Radewald hatte ihn zwar vor solchen Schummeleien gewarnt, doch angesichts ihrer momentanen, ganz besonderen Lage schiebt der Junge seine Zweifel dieses eine Mal beiseite. Ohnehin verliert Teutebrand die ersten Partien, wobei ihn anfangs beim Mogeln trotzdem ein bisschen das schlechte Gewissen plagt. Seine Bedenken erübrigen sich derweil vollends, sobald er feststellt, dass seine Kontrahenten alles andere als ehrlich spielen. Dank seiner speziellen Fähigkeiten bekommt er sogar mit, wie die Mitspieler ihre Mogeleien bewerkstelligen. Durch die Augen der Elster kann er die Skelette beobachten, wie diese heimlich ihre Karten untereinander austauschen. Der Müllergeselle ist gerade selbst am Schummeln, als ihm zudem klar wird, dass sie mit gezinkten Karten spielen. Eigentlich hätte der Junge die letzte Partie gewonnen, denn heimlich hatte er aus einer Schellen Sieben einen Gras Ober für ein Full House gezaubert. Offenbar hat aber eines der Knochengerüste aufgepasst. Wohl zuvor schon war der Verdacht des Gespenstes geweckt worden, der Junge könnte schummeln, ebenso wie die Skelette es selbst tun. Unvermutet fängt das Gerippe an, den Müllergesellen des Betruges zu bezichtigen. 'Die Zinken auf der Rückseite des Gras Obers würden eine Schellen Sieben zeigen', meckert es los. Wie es somit vor allem verrät, dass die Gespenster selbst die eigentlichen Falschspieler sind, bemerkt der knöcherne Kamerad in seiner Aufregung überhaupt nicht. Selbstverständlich hat Teutebrand mitbekommen, dass das Gespenst sich verplappert hat, davon lässt er sich in diesem Augenblick freilich nichts anmerken. Das Wissen um die gezinkten Karten kann er bestimmt noch gebrauchen. 'Es sähe regelrecht danach aus, als ob sich zwei Karten verklebt hätten', versucht der Junge der Vorfall mit dem falschen Gras Ober zu erklären. Tatsächlich liegt beim Nachschauen dann eine Schellen Sieben unter dem Ober auf dem Boden. Aus leicht verständlichen Gründen wollen weder die Knochengerüste noch der Junge ein großes Aufheben um die vertrackte Situation machen. Schnell einigen sie sich darüber, die Partie nicht zu werten. Nachdem sie das Kartenspielen abermals aufgenommen haben, verliert der Müllergeselle die folgenden Runden deutlich, gerade so wie es ihm bei all ihren bisherigen Partien davor ergangen ist. Überdies muss Teutebrand in der Folge aufpassen, dass die Skelette ihn nicht ein weiteres Mal beim Mogeln erwischen. Nachdem Vorfall mit der Schellen Sieben sind gleichfalls die anderen Geister misstrauisch geworden, aufmerksam beobachten sie nun jede seiner Bewegungen. Daher nützt der Müllergeselle die nächsten Spiele, um sich die Zinkung der Karten einzuprägen. Das System nach dem die Karten markiert sind, findet er auf diese Weise schnell heraus. Offenkundig lässt die Aufmerksamkeit die Knochengerüst allmählich nach. Wie zuvor albern die Gespenster während des Spieles in einem fort herum. Als Teutebrand dies beobachtet, beschließt er einen neuen Versuch zu wagen und abermals seine Zauberkraft einzusetzen. Mit den Augen der Elster sieht er, dass die Gespenster fleißig ihre Karten tauschen. Scheinbar setzt eines der Skelette darauf, einen niedrigen Straight Flash auf die Hand zu bekommen. Für den Junge wäre es dadurch fast unmöglich diese Partie zu gewinnen. der Müllergeselle zaubert sich selbst im Gegenzug ein Vierlingen von Obern auf die Hand, wobei er auf die richtigen Zinken auf der Rückseite der Karten achtet. Jetzt fordert er die Geister auf, sie sollen ihm ihr Blatt zeigen, sein eigenes legt er gleichzeitig offen vor sich ab. Beim Anblick der Vierlinge wähnen sich die Geister als Gewinner, siegessicher decken sie die eigenen Karten auf. Doch was ist denn das? Es stellt sich tatsächlich heraus, dass der Straight Flash lediglich eine einfache Straße ist. Zwar sind alles dunkle Farben, aber die Acht ist eine Eichel und kein Gras. Die Gespenster sind ziemlich ungehalten darüber, wissen aber nicht genau, wie dies passieren konnte. Geistesgegenwärtig schlägt Teutebrand vor, bei den abgeworfenen Karten nachzuschauen. Offensichtlich hat der Junge mit seiner Vermutung recht, denn die richtige Gras Acht ist wirklich dort zu finden. Wieso die Karte bei den abgeworfenen liegt, bleibt indes unklar. Vermutlich hat sich der vermeintliche Gewinner beim Abwerfen schlichtweg geirrt. In seiner Hand kann sie der Spieler also nicht mehr halten. Verwundern tut dies eigentlich selbst die Gespenster nicht. Sie können kaum leugnen, dass sie durch ihr ständiges Tratschen und Herumalbern sehr unkonzentriert bei der Sache sind. Das dritte Skelett erntet dennoch ziemlich böse Blicke von seinen beiden Kollegen, sogar die Freunde bekommen die miese Laune ihrer leichtfertigen Wächter mit. Zwar haben die Gespenster zuvor versprochen, die Gefährten ziehen zu lassen, ganz eindeutig ist die Situation im Moment jedoch nicht. Umgehend legt Ortrun die Hand, demonstrativ und unübersehbar, auf den Knauf der Waffe an ihrem Gürtel, droht diese gegen die Knochengerüste einzusetzen. Bekanntschaft mit dem Schwert zu machen, darauf haben die Skelette augenfällig keine Lust. Das Licht des anbrechenden Tages dringt bereits in die Dunkelheit ihres unterirdischen Verlieses, als sich die Gespenster hierauf miesepetrig verdrücken. Alleine zurückgelassen setzen die Gefährten ihren Weg fort, verbunden mit der Hoffnung bald zu einem Ausgang zu gelangen. So schnell sollte ihr Wunsch jedoch nicht in Erfüllung gehen. Lediglich zu neuen Höhlen mit für sie unerreichbaren Öffnungen in dem darüberliegenden Gewölbe, führt sie der enge Pfad. Wenngleich die Gefährten bereits eine erhebliche Distanz zwischen sich und die Knochengerüste gelegt haben, können sie sich trotzdem nicht sicher sein, dass die Skelette wirklich ihr Versprechen halten werden. Ob der Sensenmann der im Moment wohl genügend mit seinem Totenschiff beschäftigt ist, bei seiner Rückkehr über ihr Verschwinden erfreut sein wird, dies stellt eine ganze andere Frage dar. Angesichts der Durchbrüche in der Decke und seiner Erlebnisse beim Kartenspiel, kommt Teutebrand auf eine neue Idee. Vorhin hatte es ganz gut geklappt, dass er mit den Augen der Elster die Karten seiner Gegner sehen konnte. Weshalb sollte es dann jetzt nicht möglich sein, die Elster aus der Höhle hinauszuschicken, damit diese von draußen einen Ausgang suchen kann. Im Gegensatz zu Ferun und Ortun, die das Vorhaben des Müllergesellen einfach nicht verstehen wollen, kapiert die Elster sogleich, was man von ihr erwartet. Der gefiederte Freund fliegt los und und im selben Augenblick in dem der Vogel die Öffnung im Gewölbe der Grotte passiert, schließt der Junge seine Augen. Offenbar gelingt Teutebrands Plan. Nichtsdestotrotz muss er sich dieses Mal bei seinem Vorhaben sehr anstrengen, anders als dies vorhin beim Spiel mit den Knochengerüsten der Fall gewesen ist. Eine Trance könnte man den Zustand möglicherweise nennen, wie der Junge im Folgenden den Flug hinaus aus der Finsternis von Dunkelwelt mit dem Blickwinkel des Vogels erlebt. Jeder würde selbstverständlich erwarten, dass man bei geschlossenen Augen nur noch von Dunkelheit umgeben ist. Die besondere Fähigkeit des Jungen sorgt hingegen dafür, dass es ihm hierbei ganz anders ergeht. Im selben Moment in dem die Vision des Müllergesellen einsetzt, wird er von einem hellen Licht nahezu geblendet. Erst nach und nach entzerren sich darauf die Bilder in seinem Kopf und Teutebrand muss feststellen, dass außerhalb der Höhle vielmehr gerade ein reichlich trüber Tag angebrochen ist. Die Sonne ist vor Kurzem erst aufgegangen und lediglich halb verborgen im Morgennebel zu erkennen. Zusätzlich verhüllen dichte, gemächlich dahinziehende Wolkenschlieren beinahe die gesamte Umgebung. Ein unterhalb des gefiederten Freundes liegendes, mächtiges Bergmassiv ist dagegen einigermaßen gut zu erkennen. Bei der Betrachtung der Landschaft, aus dieser für ihn ungewöhnlichen Perspektive, nimmt der Junge ganz allmählich ein Gefühl des Fliegens wahr. Zu Beginn wird es Teutebrand hierbei ziemlich mulmig in der Magengegend, bevor er langsam anfängt, sich an diesen seltsamen Zustand zu gewöhnen. Die Elster ändert jetzt die Richtung ihres Fluges und entlang des Gebirgskette steuert sie nun auf die tiefstehende Sonne zu. Oberhalb der steilen Hängen kann der Müllergeselle einzelne tiefe Krater zwischen den Felsen ausmachen, die über die ganze Flanke des Berges verteilt sind. Teutebrand vermutet, dass durch diese Öffnungen die Lichtstrahlen in das Höhlensystem gedrungen sind, welche die letzten beiden Tage ihren Weg ein wenig beleuchtet haben. Ganz am Ende des Bergmassives entdeckt der Junge schließlich eine Stelle, an der es wahrscheinlich bereits vor etwas längerer Zeit einen kleinen Erdrutsch gegeben hat. Aus der Ferne erweckt es den Eindruck, als wäre unter den bereits überwachsenen, abgerutschten Geröllmassen der verschüttete Eingang zu einer Höhle zu erkennen. Während sich die Elster allmählich dem besagten Ort nähert, tauchen völlig unvermittelt eine große Anzahl an Schatten über dem vermeintlichen Zugang zu ihrem unterirdischen Verlies auf. Nahezu zeitgleich ist ein lautes, wildes Gekreische in der Luft zu vernehmen. Der Elster ist dies offensichtlich nicht ganz geheuer, denn beinahe umgehend bricht der Vogel seinen Erkundungsflug ab und er kehrt anschließend zu den Gefährten zurück. In der Höhle angekommen, setzt sich der gefiederte Freund auf seinen vertrauten Platz auf der Schulter des Jungen. Nur wenig später erwacht der Müllergeselle aus seiner Trance. Ziemlich aufgeregt beginnt Teutebrand zu schildern, was er gerade erlebt hat. Hierbei bringt der Junge einiges ordentlich durcheinander, weshalb die Schwestern ihn sogleich einer erneuten Ohnmacht nahe wähnen. 'Ob er möglicherweise Fieber hätte', erkundigen sich die beiden vorsichtig bei ihm. Enttäuscht von dem vollkommenen Unverständnis der Mädchen, gibt der Müllergeselle alle weiteren Erklärungsversuche auf. 'Sie würden gewiss begreifen, was er meine, wenn sie den Höhlenausgang im Osten erst gefunden hätten', versucht es der Junge ein allerletztes Mal, bevor die drei abermals gemeinsam aufbrechen. Die Gefährten sind noch nicht sehr weit gekommen, da erreichen die Wanderer eine Grotte, in der bereits ein jeder ihrer Schritte einen ungeheuren Lärm verursacht. Wie es sich anhört, wird in dieser Höhle jegliches Geräusch zigfach von den Wänden zurückgeworfen. Ein beinahe nicht enden wollendes Echo wird hierdurch erzeugt, dass ständig an und abschwillt, dabei jedoch scheinbar zunehmend lauter wird. Dieser Umstand veranlasst die Abenteurer dazu, so leise wie nur irgendwie möglich zu gehen. Dem Anschein nach hilft dies auch, denn nach einiger Zeit wird es tatsächlich ruhiger in der Höhle. Auf einmal stößt der Vogel unvermutet seinen Warnruf aus, dreht sich auf Teutebrands Schulter um und hält sich die Flügel vor die Ohren. Die Elster möchte sich selbst dann nicht beruhigen, als der Widerhall ihres Rufes längst verklungen ist. Ganz im Gegenteil, mit zwischen die Flügel gestecktem Kopf versucht der Vogel, so gut wie dies eben möglich ist, sich unter dem Schwanz an der Mütze des Jungen zu verstecken. Angesichts des merkwürdigen Verhaltens ihres gefiederten Freundes befürchten die Freunde ernsthaft, die Skelette könnte nochmals zurückkommen. Anstatt dem Klappern der Knochengerüste vernehmen die Gefährten indessen lediglich ein nicht näher zu bestimmendes Schwirren, welches aus der Finsternis des vor ihnen liegenden Ganges zu kommen scheint. Wie zu erwarten gewesen ist, wird der rätselhafte Ton von den Wänden der Höhle zurückgeworfen, wodurch das Sausen und Brausen in der Luft um ein Vielfaches verstärkt und überdies immer lauter wird. Bald schon hat das Geräusch eine nahezu unerträgliche Lautstärke erreicht. Für die Freunde hört es sich nun an, als stünden sie unter einem ziemlich großen Wasserfall. Lange müssen die drei jedoch über die Herkunft des Lärms nicht rätseln, denn schon taucht aus der Dunkelheit des Höhlensystems ein gigantischer Schwarm von Flugwesen auf. Solche Tiere wie jene, welche jetzt in ungeheurer Anzahl direkt auf die Gefährten zufliegen, hatte selbst Teutebrand nie zuvor gesehen. Weder in Fentovia noch in Murrtal oder irgendwo sonst in Ephalu war er jemals solchen Wesen begegnet. Dies mag wohl vor allem daran liegen, dass es für den Jungen damals wenig Grund gab, nachts in den Wiesen und Wäldern umherzustreifen. Mit ihren haarigen Körpern, den spitzen Ohren und den dunklen, Knopf großen Augen sehen die vermeintlichen Vögel beinahe wie Feldmäuse aus. Der Vergleich zu diesen Nagetieren, welche sich gerne über alles hermachen, was in der Speisekammer zu finden ist, fällt einem auch deshalb sofort ein, weil die Flugwesen annähernd gleich groß sind. Allerdings haben Mäuse im allgemeinen keine Flügel, diese seltsamen Tiere hingegen schon. Anders als bei den Vögeln besitzen die Schwingen der eigentümlichen Flattermänner keine Federn. Die Flügel dieser Wesen erinnern in ihrem Aussehen vielmehr stark eine großen Hand. Eine dünne Haut, welche zwischen den einzelnen Knochen der Schwingen aufgespannt ist, sorgt schlussendlich dafür, dass die Tiere überhaupt fliegen können. Es dauert nicht lange, bis jeder der dreien regelrecht von den komischen Flugwesen eingehüllt ist. Außer dem beständigen knackenden Surren der Flügel ist ansonsten kein Laut von dem flatternden Etwas zu vernehmen. Auf die Gefährten wirkt das unheimliche Spektakel ungefähr so, als wären sie in einen riesigen Schwarm von Schmetterlingen geraten. Ferun und Teutebrand stehen aus diesem Grund einfach nur da und staunen als wäre eben der Mond aufgegangen. Mir nichts dir nichts, die pittoreske Situation wegzustecken, möchte Ortrun dementgegen nicht gelingen. Nach den Tieren zu schlagen oder zu treten, dies hilft der großen Schwester rein gar nichts. Die putzigen Flattermänner fliegen viel zu rasch umher und sind daher schlichtweg nicht zu erwischen. Abrupt ist der Spuck bereits nach wenigen Augenblicken zu Ende. Alle zugleich sind die unzähligen Fledermäuse, um welche es sich bei den Flugwesen gehandelt hat, urplötzlich in der Dunkelheit des Höhlensystems entschwunden. Gleich danach kriecht gleichermaßen die Elster vorsichtig unter der Mütze des Müllergesellen hervor. Bis auf den heftigen Schreck, welchen die Gefährten durchlitten haben, ist offensichtlich nichts weiter passiert. Selbst ein echte Gefahr hat bei dem Zusammentreffen nie bestanden. Ganz im Gegenteil die Fledermäuse haben vor allem unheimlich neugierig gewirkt. Sogar ein bisschen neuen Mut haben die Abenteurer bei dem Vorfall gefasst. Ohne jegliche Zweifel müssen die Flattermänner von irgendwoher gekommen sein. Von ihrer neu erwachten Hoffnung vorwärts getrieben, erreichen die Freunde tatsächlich wenig später den verschütteten Zugang zu Dunkelwelt im Osten. Mit Hilfe von Teutebrands Zauberkräften ist es ihnen ein Leichtes den Eingang freizuräumen. Schon dringen erste schwache Lichtstrahlen von draußen in ihr beklemmendes, düsteres Verlies. Kurz darauf ist die Öffnung groß genug, dass die Abenteurer einen Versuch wagen können, aus der Höhle zu entkommen.